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Üetliberg-Downhill Reloaded

Eine halbe Ewigkeit ist es her, seit ich das letzte Mal mit einem Mountain-Bike den Uetliberg erklommen habe. Man muss dazu sagen, davor war ich unzählige Male oben, auf Zürichs Hausberg. Und ich war in Form. Ich weiss, es ist schwer zu glauben, aber es gab mal eine Zeit, da war ich am Berg eine böse, drahtige Bestie. Wer hat da gelacht? Oft war ich mit Peti Fontana vom Backyard unterwegs. Und genau dieser Peti sollte nun 20 Jahre später mein Edel-Sherpa sein, um mich auf den Uetliberg hinauf und, vor allem, den frisch präparierten Downhill wieder runter zu führen.

Als wäre ich in meiner alten Pearl-Izumi-Retro-Kluft gerade einer Zeitmaschine entsprungen, erschien ich im Backyard um mich vom lachenden Peti auf ein Scott Genius 700 Tuned setzen zu lassen. Mein altes Bikerherz schlug einen Endorphin-Salto. Früher hatten wir ja keine Hinterrad-Federung. Noch früher hatten wir nicht mal eine Vorderrad-Federung. Und noch viel früher hatten wir nicht mal ein Rad, denn es musste erst noch erfunden werden. Ha…! Und heute gibt’s also das hier: Ein zehn Kilogramm leichtes Fully mit 15 cm Federweg. Wahnsinn.

In der Nacht hatte es heftig geregnet. Der Wald lud also zu einer netten Rutschpartie. Doch zuerst mussten wir mal auf den Berg rauf. Mir wäre natürlich die Weichbecher-Bähnli-Variante lieber gewesen, aber die SZU nimmt keine Velos mit. Darum plagte ich mich erstmal über den Friesenberg durch die Schrebergärtli-Hauptstadt von Zürich. Ich schnaubte schon wie ein Laubbläser mit Lungenentzündung. Petis Atmung aber war immer noch flach wie eine Flunder. Als wäre es eine Kafi-mit-Gipfeli-Fahrt palaverte er über die guten alten Zeiten, als wir noch die ersten Mountainbike-Rennen der Schweiz gefahren sind und konditionell gleichauf waren. In Nostalgie schwelgend, aber gleichzeitig nach Luft japsend, nickte ich alles durch. Während ich über die Jahrzehnte förmlich ein Form-Grounding erfahren hatte, lief Peti zwölf Marathons, setzte sich drei Mal die Woche aufs Bike und absolvierte erst gerade, beim dreiwöchigen Swiss Epic, täglich 3000 Höhenmeter. Tja, kein Wunder atmete der alte Knabe am Berg praktisch nicht.

Am Fusse des Üetzgis, wie in die Locals nennen, stiegen wir kurz ab. Mein „Tour-Guide“ zeigte mir voller Stolz die, von Tschäff Rhyner und „Grün Stadt Zürich“, erst gerade fertiggestellte „Chügelibahn“, das letzte Teilstück des 3,5 Kilometer langen Antennentrails. Wahrlich ein imposantes Steilwandkurven-Bauwerk, welches aus Bikersicht gut und gerne als achtes Weltwunder durchgehen würde. Die Lichtschranken-Zählung besagt, dass jedes Jahr 36’000 Biker diesen Downhill runterfahren. Früher waren es ja nur eine Hand voll verrückter Zürcher mit Hardtail-Bikes, die einem die Plomben implodieren liessen. Zwei davon wir. Ja, früher war alles anders, auch die Zahnarztrechnungen.

Zum Schluss des Up-Hills jagte mich Peti eine rund 300 Meter lange Wurzelpassage hoch und brachte mich in den dunkelroten Bereich. Mit Puls 250 versuchte ich die Aussicht auf die Stadt zu geniessen. Reumütig gab ich Peti den Ich-hätte-halt-doch-mehr-trainieren-sollen-Blick. Auf Anweisung meines Bergführers, stellte ich den Sattel etwas tiefer. Ganz „Mutter Theresa“ überliess er mir seine Downhill-Handschuhe und meinte: „Diese Hände brauchst du ja noch, um die Kolumne zu schreiben.“ Ja ja, im Einschüchtern war er schon immer gut, der Velo-Peti.

Wie in alten Tagen, machten wir uns auf, den freshesten Urban-Downhill der Schweiz runterzufliegen. Mein Langzeitgedächtnis sagte mir „Du kannst das noch“, doch mein Verstand konterte mit „Du bist zu alt für dieses Ding“ und meine Augen sagten mir „Wo zur Hölle bin ich hier eigentlich?“. Peti machte die Vorhut. Wir schossen den Waldweg runter, bis uns eine wurzlige Gegensteigung alles an Technik abverlangte, was wir und die Bikes zu bieten hatten. Mein Gott, dieses Fully schluckte mehr als ich in meinen besten Clubszene-Zeiten. Meine Beine meldeten zum x-ten male Feueralarm, doch schon gings wieder bergab. Wie eine Sonde schob ich Peti vor mir her und besass somit den Luxus jede Bewegung des Trails im Voraus zu scannen. Trotzdem  verharrte mein Gesicht in einem stetigen Bloss-nicht-auf-die-Fresse-fliegen-Ausdruck. In meinem biblischen Alter brechen die Knochen schneller als Styropor.

Doch alle, die hier schadenfreudig auf einen Crash warten, muss ich enttäuschen. Mit meiner offensichtlich noch gut funktionierenden Altherren-Technik und dem perfekten Babysitting von Peti, schaffte ich es, diese adrenalingeschwängerten 350 Höhenmeter unbeschadet abzufahren. Das Genius leistete Schwerstarbeit unter mir und gab mir, in Kombination einer vom Verein Züritrails perfekt präparierten Strecke, eine nie erahnte Sicherheit.

Also früher hatten wir ja gar nix in der Art. Keinen Verein. Keine Trails. Gar nix. Nix. Wir fuhren praktisch auf dem blossen Hintern durchs ungesicherte Dornengehölz, ungebremst direkt ins Triemlispital. Danke Üetzgi, du hast mich wieder.

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Autor: Midi Gottet

Midi Gottet ist 47 und war in diesem Leben schon Vegetarier, Alkoholiker, ein militanter Nichtraucher, Zauberkünstler in Vegas, Handmodel in Paris, Velokurier in Manhatten, Vater, Sohn und Heiliger Geist, vor Gericht wegen Verletzung religiöser Gefühle, im Knast, Sozialfall, die linke Hand von Rainer Kuhn, Stand-up Comedian, Präzisions-Schauspieler, Eden-TV-Moderator, Kolumnist, Autor, Poet, ein Singing Pinguin, ein schwules Murmeltier, Dr. Fleischmann, der DRS3-Rajiv, die Thomy-Senftube, der Schöpfer von "Handirr im Poulet speutzt", Ehemann, glücklich geschieden, eine Sportskanone, ein wenig impotent, ein Electric-Boogie-Tänzer, labil, ein Triebtäter, ein Erdengel, ein Schutzengel, ein Fussfetischist, ein Muttersöhnchen, ein Coop-Supercard-dabei-Haber, Götti, Onkel, Tante, das "Ich bin das ich bin", ein Orgasmusvortäuscher, betrieben, hoch verschuldet, tief verletzt, stinkreich, ein bornierter Snob, abgefuckt, demütig, reumütig, übermütig, übermüdet, klinisch tot, wieder wie neu, ein Drittel des Trio Eden, die Hälfte von Gottet & Landolt und ein Ganzes von Midi Gottet und somit die Summe seiner Höheren Selbste.

Danke für ihre Aufmerksamkeit.
(Wenn sie sich die Zeit genommen haben, diese Bio bis hierher zu lesen, haben sie kein Leben)

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