Die Hitze schlug mir, wie ein Brett, ins Gesicht, als ich barfuss und in leichter Kleidung den Bikramyoga-Raum betrat. Ich spürte wie sich mein Polyester-Shirt durch die Hitze zusammenzog, ähnlich, wie die bemalten Joghurtbächerli, die ich als Kind in den Backofen schob. Das Thermometer zeigte 38 Grad. Eine perfekte Temperatur, um sich am Pool einen Eimer Eis über die Rübe zu kippen, aber nicht, um auf Geheiss unmögliche Turnübungen zu absolvieren. Doch genau das tat ich.
Der Mann, der mir diese Übungen in der nachgestellten Hitze Indiens abverlangte, war Stefan Tanner, Geschäftsführer von „Bikram Yoga Zürich“. Als Stefan den Raum betrat, hatte er innert Sekunden die Aufmerksamkeit der Klasse, die ruhig und konzentriert auf diesen Moment gewartet hatte. Stefan erschien in weissen Shorts und oben ohne. Jede Muskelfaser seines 50-jährigen Körpers wurde durch unzählige Yoga-Sessions x mal erneuert und liess ihn in perfekten Proportionen gestählt erstrahlen. Eine wahrlich stattliche Erscheinung. Für mich, einen fast 50-jährigen Nutellabrotfresser, wahrlich ein Albtraum.
Beim Warm up schnaubte ich mich durch eine Atemübung, zeigte dann gen Himmel und presste, hin und her schwankend, mein Blut im Bauch umher um mir schlussendlich, auf imaginären High-Heels stehend, in der Hocke einen abzubrechen. Bei 38 Grad Celsius ein Warm up zu machen, erschien mir, einem Bikramyoga-Rookie, durchaus paradox, denn mir war nicht nur warm, sondern heiss. Garudasana hiess die vierte von insgesamt 26 Asanas. Da verschränkten wir alle zur Verfügung stehenden Extremitäten und machten unser Spiegelbild so schmal, wie möglich. Einmal mehr konnte ich von meinem Background als Electric-Boogie-Tänzer profitieren.
Bei Asana 6 (Dhanurasana) verwandelte uns Stefan in Pfeil und Bogen. Dabei wird ein Arm gestreckt, während der andere ein Bein hinten in die Höhe hält. So liess uns Stefan eine Weile dastehen. Nur ich hüpfte wie ein Flamingo auf Ketamin auf meiner Matte rum. Die Dame, die mir draussen im Gang noch ein verschämtes Lächeln abrang, weil sie nur im Badekleid zur Lektion erschien, stand da wie eine Eins und erntete nun meinen tiefsten Respekt. Zu Beginn war „Esther Williams“, wie ich sie heimlich taufte, nur unscheinbar in Erscheinung getreten. Doch mit jeder Asana wurde sie mehr und mehr zu meiner persönlichen Yoga-Queen. Immer, wenn ich Stefan in seinem, teilweise doch fortgeschrittenen, Yogisch nicht verstand, war ein Blick auf Esther mein „Spick“, mit dem ich mich durch die Prüfungen mogelte.
Ich hielt mich tapfer während Trikanasana, balancierte mich durch Tadasana, doch bei Padangusthasana war ich vollends saniert und trank gierig aus der blauen Petflasche mit Quatlitätsklasse 07, die mir Stefan vor der Lektion geschenkt hat. Die 38 Grad wurden zu gefühlten 138 Grad. Wir waren erst bei Asana 12 und ich fühlte mich schon wie ein Poulet im Chörbli – nur könnte man das wenigstens noch essen, mich nur noch rauchen. Mit viel Mühe hangelte ich mich in die Entspannungsübung Savasana, die „Totenstellung“.
Nachdem ich von Stefan während rund 45 Minuten gebootcampt wurde und dadurch Lichtjahre entfernt von meiner Komfort-Zone war, lagen wir für einen Moment völlig regungslos auf dem Rücken. Dieses schockartige Runterfahren war irgendwie zuviel für mich. Übermannt von meinen Gefühlen weinte ich still in mich hinein. Richtig gelesen. Ich weinte – so überraschend wie Smudo bei The Voice. Aber es war irgendwie befreiend, ohne Grund, einfach mal loszuheulen. Daran könnte ich mich gewöhnen. Meine Kinder machen das ja den ganzen Tag. Aber bei soviel Schweiss im Gesicht, fielen die paar Tränen niemandem auf.
Und dann gings auch schon weiter mit schweisstreibenden Asanas, die meinem, teilweise doch sehr armen, Stretch die Sporen gaben. Esther Williams überraschte mich weiter mit ihrer Kraft und Grazie und meine Nachbarin bekundete ähnliche Mühe mit der Balance, wie ich. Wenigstens war ich nicht ganz alleine an der Anfänger-Front. Irgendwie wurde mir immer heisser. Komisch. Aber das lag wohl an der HEIZLÜFTUNG, die immer noch volle Pulle lief. Der Schweiss lief mir in die Augen und Stefan sah dadurch, bei Asana 23, für ein paar haluzinogene Sekunden aus, wie Guy Landolf. Grundgütiger! Was kommt als Nächstes? Dass ich Stimmen höre?
Euphorisiert durch das nahe Ende der Strapazen, sass ich die letzten drei Dehnungs-Asanas auf einer Backe ab. Danach überreichte Stefan mir und meiner Nachbarin ein Zertifikat, welches bestätigt, dass wir unsere erste Bikram Yoga Lektion erfolgreich absolviert haben. Wir beide schauten uns an, machten die Becker-Faust und flüsterten lippensynchron: „Yeah“
Dann kam der grosse Augenblick: Stefan schaltete den Heizlüfter aus. Dieser Moment der Stille. Wow! Irgendwie unbeschreiblich. Wir lagen einfach da und Stefan murmelte irgendwas in Yogisch, das ich nicht verstehen konnte. Er wiederholte diesen Satz immer wieder und wurde dabei immer leiser. Wie ein schwindendes Mantra. Und dann war Stille. Einfach nichts mehr, bis auf ein kollektives „Namaste“. Hühnerhaut Kinder, Hühnerhaut.