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Zürich im Herbst

Nun, da die Tage kürzer und kälter werden, lasse ich meinen geliebten Jolly Jumper (Velo) morgens immer öfter zuhause. Armes Pferdchen. Die Alternative dazu ist, dass ich den 32er Bus an den Limmatplatz und von dort das Tram zum Sihlquai nehme – für alle, die nicht aus Zürich sind: das ist nicht ausschliesslich der Strich, sondern auch eine Tramstation gleich beim HB. Wenn es regnet, ist das die ideale ÖV-Strecke, um einen Text über Menschen im ÖV zu schreiben. Die Zürcher sind nämlich ein Volk von Velofahrern, was ich persönlich cool finde – manch ein Autofahrer mag mir da widersprechen.

Und so sind die Busse an verregneten Herbstmorgen jeweils doppelt so voll, weil die Menschen, um ihre trendigen Hipsterfrisuren zu schonen, ihren Göppel zuhause lassen – ich inklusive. Meist in der Wohnung, übrigens. Ein Velo in Zürich zu haben ist, wie wenn man mit Diamantohrringen durch die Bronx geht. Aber das ist ein anderes Thema.

So warte ich denn brav an der Bushaltestelle, während sich dort unter dem Vordach des Aperto immer mehr Menschen ansammeln (hier einmal 1000 Grüsse ans Aperto-Team an der Langstrasse, Ihr seid super!).

Erste Idiotenbeobachtung: Viele Leute stellen sich mit dem Schirm unters Vordach. Sense: it makes none. Führt zu Augen-Ausstecherlis. Oder der Schirm bleibt in den Haaren anderer Wartender hängen. Auch nicht so schön.

Naht der Bus, schiebt sich die Menschenfront gen Strasse, Schirme werden geöffnet, weil 10 Sekunden im Regen stehen ja mega nicht geht (weil Frise, weisch). Mir kommt das jeweils ein bisschen vor, wie wenn eine Horde Orks einen militärischen Angriff auf einen Hobbit-Bus planen würde. Dicht gedrängt, abgeschirmt, kampfeslustig. Zagg. Aus dem Bus aussteigen kann man natürlich so kaum. Die Leute müssen sich geduckt durch das Menschenknäul quetschen und kommen fluchend am anderen Ende wieder raus. Natürlich wird bereits in den Bus gestürmt, während die Leute noch am Aussteigen sind. Manchmal warte ich regelrecht darauf, dass einer die Arme hebt und schreit: ERSTER!

Zweite Idioten-Beobachtung: Sind da zwei freie Plätze, setzen sich die Leute an den Gang. Das regt mich SO AUF! Tut man das nachmittags um 3, wenn der Bus eh leer ist, find ich’s okay. Aber wenn der Bus völlig überfüllt ist? Am schlimmsten ist’s, wenn sie bei der Frage, ob der Platz am Fenster noch frei sei, ihre Beine in den Gang schieben und der Fragende sozusagen über sie rüberklettern muss, um auf seinen Platz zu gelangen. RUTSCH RÜBER ODER STEH AUF. Mann.

Die Leute erweisen sich ausserdem als unfähig, sich von den Türen weg ins Innere des Busses zu bewegen, sodass vor dem Ausgang ca. 56 Menschen pro Quadratmeter stehen, während auf den Gängen theoretisch fünf Nilpferde eine Polonaise veranstalten könnten, weil’s so leer ist. Ich find’s auch nicht lustig, im Gang zu stehen, aber am Ende muss man sich eh wegbewegen, weil sonst nämlich anstatt einer sich schliessenden Tür ein minutenlanges Gepiepse der Türe und die Stimme des entnervten Busfahrers ertönt, man solle sich doch bitte in die Gänge verschieben.

Vom Geruch in einem solchen Bus fange ich nun gar nicht erst an. Darüber liesse sich wohl ein ganz eigener Text schreiben.

Beim Aussteigen am Limmatplatz befinde ich mich dann in der Hobbit-Position und sehe mich mit einem Wall aus mit Schirmen bewaffneten Orks konfrontiert. Ducken, rausquetschen, fluchen. Danach allen den sich öffnenden Schirmen ausweichen. Ich hänge eben ziemlich an meinem Augenlicht, müsst Ihr wissen. Ebenfalls eine Falle: Abrupt stehenbleibende Raucher, die sich SOFORT nach dem Aussteigen eine Kippe anstecken müssen. Habe mir schon ein paarmal fast die Nase an einem Raucherhinterkopf gebrochen – wäre aber sicher unterhaltsam für den Sachbearbeiter bei der Unfallversicherung. «Liiiiiebe Mobiliaaaaaar, …»

Ich gehe zur Tramstation, atme die frische Luft. Ah, süsse Freiheit. Hole mit eine 20Minuten, schlendere zum Bänkli neben dem Ticketautomaten. Und dort:

Dritte Idiotenbeobachtung: Menschen haben die Tendenz, sich wartend vor ein Bänkli zu STELLEN. Ernsthaft. Achtet Euch mal. Ich habe keine Ahnung, woher dieser Trieb kommt, aber überdurchschnittlich viele Menschen stehen mit ihren Waden gegen ein Bänkli gelehnt an Haltestellen des ÖV. Manche stellen dann noch ihre Taschen neben sich aufs Bänkli, sodass dieses komplett besetzt ist, ohne dass jemand drauf sitzt. Finde ich faszinierend. Mittlerweile frage ich dann jeweils, ob ich mich bitte hinsetzen kann. Die meisten lachen dann, weil sie sich selber wohl nicht bewusst waren, dass sie so dagestanden hatten.

Das Bänkli brauche ich nämlich, weil ich jeden Morgen ca. 10 Minuten am Limmatplatz sitze und Menschen beobachte. Das ist mein Morgenritual (entstanden aus der Not, dass manchmal einfach der Bus nicht auftaucht und ich schon mehrfach fast den Zug verpasst hätte). Ich sitze da und schaue mir das morgendliche Treiben an und mein Hirn füllt sich mit Ideen, was ich Euch am nächsten Morgen so alles verzapfen könnte. Sehr oft muss ich so schon morgens herzhaft lachen, denn die Menschen sind einfach super.

Und so lohnt sich auch das Reisli im überfüllten, stinkenden 32er an jedem verregneten Morgen wieder aufs Neue.

Mit Liebe, Euer Pony

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Autor: Yonni Meyer

Yonni Meyer (*1982) wuchs dort auf, wo’s mehr Kühe als Menschen gibt. Und das war gut so. Kantonsschule in der Nordschweizer Provinz (Hopp Schafuuse). Studium im Welschland (Sprachen und Psychologie). Umzug an die Zürcher Langstrasse 2011. Seither konstant kulturgeschockt. Ende Juli 2013 Geburt des Facebook-Blogs „Pony M.“
September 2013 Einstieg bei KULT. Ab 2014 Aufbruch in die freelancerische Text-Landschaft der Schweiz. Meyer mag Blues. Meyer mag Kalifornien. Meyer mag Igel. Meyer mag Menschen. Manchmal.

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