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Das nicht perfekte Leben der Schweizer Frau

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In unserer kleinen, idyllischen Schweiz, haben wir die Perfektionswut erfunden. Im Jahre 2014 besteht noch immer die perverse Vorstellung davon, was richtig und was falsch ist – und danach handeln wir. Unser kleinbürgerliches Dasein, all die hunderte von Jahren hat uns weitgehend gezeichnet. Der Bauer sitzt uns noch in den Genen und kuckt von Zeit zu Zeit griesgrämig aus unseren Adern hervor. Manchmal schlägt er uns wie Kühen auf den Hintern und meldet sich in Form des gesellschaftlich geprägten Gewissens.

Brav ernten wir im Büro unseren Wohlstand, der mitunter jeden Feminismus in sich zusammenfallen lässt. Jubelten Schweizer Frauen im Appenzell 1971 noch, als sie das Stimmrecht, als eine der letzten in Europa zugesprochen bekamen, so jubeln sie heute darüber, privilegiert zu sein, zu Hause bleiben zu können. Man könne es sich leisten, dass nur der Mann arbeiten geht, in einem Land, das so vorbildlich und organisiert funktioniert. In Wahrheit aber arbeiten Frauen oft nicht, weil sie es sich ganz einfach eben doch nicht leisten können. Tagesstätten, so teuer wie eine tolle Wohnung im Stadtzentrum, vermiesen jeden Wunsch nach Arbeitstätigkeit. Unlängst ergaben Berechnungen, dass Verheiratete nicht beide vollzeitig berufstätig sein sollten, um den Monat nicht mit einem Minus auf dem Steuerkonto zu beenden. Einer der beiden müsste, um keinen Verlust zu erwirtschaften, maximal 60% arbeiten. Dass dies in den meisten Fällen die weniger verdienende Frau ist, liegt auf der Hand. Jeder Versuch an dieser Lage etwas zu ändern, wurde wohlgemerkt, von beiden Geschlechtern, egal welcher politischen Ausrichtung, im Keim erstickt. Das Bild der starken Frau ist populär und modern, doch will man sie nicht zu nah an der Realität, der Politik, gar an sich selbst sehen. Starke Frauen sind herrschsüchtige Mannsweiber. Soll es lieber bei der Vorstellung von Emanzipation bleiben, das ist einfacher und bedingt keinerlei Veränderung.

Genau hier beginnt das Problem marode Wurzeln zu schlagen und den Vormarsch der unabhängigen Frau anzufaulen. Starke Frauen mögen andere starke Frauen nicht. Ein unbändiger Konkurrenzkampf, gepaart mit Missgunst und einem Gefühl des nicht Gönnens, laufen hier um die Wette. Wieso kann man nicht selbst an ihrer Stelle stehen? Wieso habe ich nicht mehr Willen aufbringen können? Ehrgeizige Frauen stehen Männern in nichts nach. Doch führt ihr typisch weibliches, ewiges Vergleichen zu einer Behinderung des Fortschritts. Frauen, die genug gut situiert und emanzipiert sind, um arbeiten zu gehen und die Krippen zu bezahlen, verstehen das Leid der Daheimgebliebenen schlecht, setzen sich somit auch weniger für diese ein.

Konservative aller Schichten bevorzugen das konservative Dasein, die Verkörperung des Prestiges, das Vorzeigemodell der glücklichen Kleinfamilie im altmodischen Sinn. In der Mittelschicht heisst es, es sei Erfüllung genug für die Familie da zu sein. Man brauche keinen Luxus, komme mit einem Lohn gut aus. Oftmals aber wartet man nur auf die Erlösung aus dem unbefriedigenden Arbeitsalltag. Notausgang Familie. Was dann kommt ist meist, nach einer gewissen Zeit, ebenso monoton.

Zusammen empören sich konservative Frauen darüber, dass niemals alles zu schaffen sei, dass immer entweder der Job oder die Familie leide. Man redet hinter vorgehaltener Hand über die starke Frau. Über ihren Egoismus, ihre armen Kinder, die Märtyrerrolle ihres Mannes. Sie hätte sich vor der Familie entscheiden sollen. Man empört sich ebenso gerne über die, welche die Monogamie aufgegeben haben, doch rennt man am Kindergeburtstag ins Haus, um zu überprüfen, ob eine SMS des Geliebten gekommen ist. Man lästert über die Businessfrau, die gerne an Partys geht und mal über den Durst trinkt, doch köpft man selbst eine Flasche roten Wein, sobald die Kinder im Bett sind.

Besonders unser Land, das noch bis vor kurzem (unsere Eltern haben es miterlebt) die Polizei rief, wenn sich Unverheiratete zuhause trafen – hier ist es noch ein weiter Weg bis zur Akzeptanz des unkonventionellen Daseins und zur modernen Akzeptanz.

Dass interessante, anspruchsvolle Teilzeitarbeit praktisch nicht existiert (ausser in wenigen amerikanischen  Unternehmen), ist altbekannt. Entweder Familie oder Karriere. Entweder oder. Deshalb sollte man umso mehr, raus aus der Opferrolle, nach seiner Berufung suchen und sich selbst eine Welt kreieren, voller Inspiration und Motivation, trotz schwieriger und hemmender äusserer Umstände. Im Idealfall setzt man sich dann gleichzeitig für eine bessere Frauenwelt, eine bessere Zukunft ein. Besser als Abwarten und Motzen ist diese Taktik allemal. „Jeder ist seines Glückes Schmied.“

Arbeit auszuführen, die Spass macht und der Persönlichkeit entspricht ist Selbstliebe. Etwas für sich zu tun, bedeutet Glücksgefühle zu verspüren, wenn ein Projekt gelungen ist, ein Kribbeln im Bauch, wenn der Erfolg eintritt. Ein persönlicher Meilenstein, der sich für einmal nicht an den Fortschritten des Kindes oder am Wachsen des Marmorkuchens im Ofen misst. Eine Frau, die noch nie Schmetterlinge im Bauch verspürt hat beim Arbeiten, hat sich selbst noch nicht entdeckt. Auch wenn im Kleinen, so sollte man konstant nach seiner Erfüllung suchen. Dabei spielt keine Rolle, ob man liebend gerne Cupcakes backt oder Sudoku spielt. Jedes Hobby kann zu einer Tätigkeit führen, die neben vollzeit-Job oder Familie befriedigend ist. Wieso sollte die Zeit während das Baby schläft, nicht dazu genutzt werden, Neues auszuprobieren? Ein kleiner Schritt in die selbst bestimmte Richtung, ist ein grosser Schritt für die Selbstachtung. Hauptsache man entdeckt seine unbändige Leidenschaft in der längst vergessen gegangenen Seele. Wer bin ich, was will ich, wer will ich sein? Dies sind zentrale Fragen bei der Befreiung einer Frau. Auch wir können und müssen so werden wie die Eine, die wir insgeheim bewundern.

Das Argument, eines leide immer, gilt nie, denn das perfekte Leben, das gibt es nicht. Wir wollen kein utopisches Bilderbuch-Leben, eine Illusion, die uns irgendwann zerstört und auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Spätestens dann, wenn die Hausfrau Drogen im Zimmer des Sohnes findet oder von seinen Depressionen erfährt, fällt das Kartenhäuschen zusammen. Spätestens dann, wenn man an Krebs erkrankt, der Sitz im Vorstand des Unternehmens keinen Lebenssinn mehr verschafft. Wo steht geschrieben, dass das bürgerliche Leben, saubere Häuser und täglich mit liebe gekochtes Essen, Garantien für Glück sind? Wo steht, dass der CEO glücklich ist? Eines ist sicher: Das Unglück macht auch vor traditionellen Familien und Businessfrauen nicht halt. Wir müssen aufhören, einer von der Gesellschaft als ideal erklärten Perfektion nachzurennen und uns fragen: Ist meine Zufriedenheit nicht genauso viel Wert, wie die meiner Liebsten? Wie die meiner Vorgesetzten? Schluss mit der Aufopferung, egal wo.

Wieso nicht schmunzeln, wenn nichts nach Plan läuft, wenn sich das Leben in all seinen Facetten zeigt? Wieso Chaos nicht als Inspiration werten? Nur eine Frau, die sich ihr Leben selbst aussucht, ist eine Positive, erfüllte Frau. Eine Frau, die die Hürden des Lebens mit einem Zwinkern meistert. Möge es noch so unaufgeräumt sein. Gestehen wir und erst einmal unsere innersten Bedürfnisse ein, werden wir nicht mehr über andere Frauen, sondern lautstark und stolz über unser eigenes Dasein posaunen.

Nur Handtaschen, nur Kinder und nur Arbeit, genügen niemals, solange wir uns selbst nicht genügen. Genügen wir uns erst einmal selbst, fällt das Unterstützen anderer Frauen gar nicht mehr so schwer. Zusammenarbeit wird die Stagnation allmählich aus dem Weg räumen, Platz machen für noch mehr Moderne und Feminismus.

Auf eine Welt voller zufriedener Frauen, die genau wissen, was sie im Leben befriedigt. Frauen, die kein entweder oder akzeptieren. Frauen, die andere Frauen auf ihrem Weg unterstützen. Auf Frauen, die dem Glück mutig und zielstrebig entgegenrennen, egal wie unmöglich dies zu erreichen scheint. Auf eine Welt voller erfüllter Frauen, die sich für vieles und viele – doch zuerst für sich entschieden haben.

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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