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BLUE SHADOWS FALLIN’ – CAUSE THE BLUES BOY HAS GONE HOME

Nimm all die anderen Instrumente für einen kleinen Moment weg. Nur diese Lead-Gitarre soll bleiben: Töne mit Flügeln, die dem Himmel entgegen schweben, irgendwo hinter den Wolken verschwinden. Und wenn sich diese Töne aneinanderreihen, erzählen sie Geschichten, frohe, tieftraurige, grimmige, triumphale…

Sie berichten von den blauen Schatten, die fallen, wenn dein Baby Dich verlässt…

Von der gnadenlos verschlossenen Tür, auf die dein Baby eines Tages stossen wird, weil sie dich betrogen hat…

Vom Akt der Liebe, der gut für dich ist…

Und von der Power des Blues, die alles durchdringt, alles, was eine Seele besitzt, die fühlen kann…

Die Gitarre, die dies alles erzählt, heisst Lucille. Dies will aber nicht bedeuten, da muss ich Sie enttäuschen, Ladies and Gents, dass es nur eine einzige Lucille gibt.

Aber es gab mal eine ganz besondere Lucille…

Damals – in den Fifties – als Riley, man nannte ihn Beale Street Blues Boy, unermüdlich tourte, hunderte von Konzerten im Jahr, durch jenen tiefen Süden der USA, seiner Heimat und der Heimat des Blues, hatte er die Gibson ES 335 für sich entdeckt. Vorher war die Axt seiner Wahl eine Fender Telecaster gewesen.

Dann bekam er diese Gibson – mit ihren beiden Humbuckern – in seine starken Mississippi-Hände. Und verliebte sich in ihren Klang. Anfänglich hatte er ihr allerdings noch keinen Namen gegeben. Bis zu jenem Tag, als ein Club, in dem seine Band spielte, brannte. Heftig brannte.

Zwei Menschen sind in den Flammen ums Leben gekommen.

Der Beale Street Blues Boy stürzte sich in die Flammen. Um seine ES 335 zu retten. Was ihm gelang. Danach taufte er sie auf jenen berühmten Mädchennamen. Dies würde ihn, so sagte er gerne, fürs Leben daran erinnern, dass man keine solchen Dummheiten begehen solle, man solle sich weder in die Flammen stürzen, um eine 30 Dollar-Gitarre (damals für den Blues Boy eine stattliche Summe) zu retten, noch solle man sich um Frauen streiten…

Es war nämlich so: Zwei Streithähne, die sich um eine Lady geprügelt hatten (Hat diese Lady wirklich Lucille geheissen? Die Wahrheit über diesen Fakt ist in den Nebeln der Zeit verloren gegangen.), stiessen einen Kerosinofen um, dies entfachte den Brand.

Nun. Aus dem Blues Boy von der Beale Street wurde BB King. Einer der Könige des Blues, einer der letzten Überlebenden der massgebenden ersten Generation des elektrischen Blues. Die Firma Gibson hat ihm in all den Jahren eine Menge ES 335-Modelle auf den Leib geschneidert, sie alle haben auf den Namen Lucille gehört, sie alle haben in den Händen des grossen Mannes gesungen, vibriert, jubiliert.

Riley B. King. Am 16. September 1925 ist er geboren, in bettelarmen Verhältnissen, auf einer Baumwollplantage, bei Itta Bene, Mississippi, einem der ärmsten Bundesstaaten der USA. Als er zwölf Jahre alt war, hat er seine erste Gitarre gekauft. Für 15 Dollar. Schon als Kind hatte er in der Baptistenkirche, die seine Familie besuchte, von Herzen gerne gesungen.

Nach kurzer Zeit kam er dann unter den Einfluss der Urväter des Delta Blues, lernte auch eine der ganz grossen dieser Vaterfiguren kennen: Bukka White (1909 – 1977) wurde sein Mentor. 1943, gerade 18 Jahre alt geworden, begann Riley in Indianola, Mississippi, wo heute das grossartige BB King-Museum steht, wo zudem ein anderer König des Blues geboren ward, der grosse Albert King (1923 – 1992), als Traktorfahrer zu arbeiten. Gleichzeitig spielte er Abend für Abend mit dem St. John’s Quartet, das damals sehr beliebt war – oft in einem Club in Inverness, Mississippi.

Damals hat er auch geheiratet, seine erste Frau, sie hiess Martha.

1946 hat ihn Bukka White dann erstmals nach Memphis, Tennessee, mitgenommen. Eine Stadt, die afroamerikanische Musiker magisch anzog, wegen ihrer Beale Street, Strasse der Musik, der Magie, der Freuden, Leiden, des Vergnügens, der Sexualität, der Gewalt. Strasse des Blues! Die heute leider nur noch einen Schatten dessen darstellt, was sie damals war; die – weisse – Stadtverwaltung hat dafür gesorgt. 1948 zogen Riley und Martha dann endgültig in die Bluff City, die direkt an jenem mächtigen Old Man River liegt, dem Taufbecken des Blues.

In Memphis spielte BB überall, in den Clubs, auf der Strasse, an privaten Festen, er musste Schulden abbezahlen, die er in den Jahren zuvor angehäuft hatte. Es gelang ihm, sich einen Namen zu schaffen.

Alsbald wurde er von Aleck „Rice“ Miller (1912 – 1965), der unter dem Namen Sonny Boy Willamson Karriere gemacht hatte – man setzt in seinem Fall in der Regel ein römisches II hinter den Namen, denn es gab noch einen anderen grossen Sonny Boy Willamson (1914 – 1948), dessen Name der junge „Rice“ einfach übernahm -, in dessen populäre Radioshow auf dem Sender WDIA eingeladen.

WDIA war ein Sender für afroamerikanische Ohren, in afroamerikanischem Besitz. Die Leute im Studio mochten den jungen Riley. Und alsbald hatte er seine eigene Sendung. Für diese Sendung und sein neues Engagement, regelmässige Shows im Sixteenth Avenue Grill nämlich, wollte er einen Künstlernamen. So nannte er sich zunächst Blues Boy King. Die Hörerinnen und Hörer seiner Radiosendung nannten ihn ihrerseits Beale Street Blues Boy.

Daraus wurde innert kurzer Zeit BB King.

1952 wurde seine Version des Lowell-Fulsom-Songs „Three O clock Blues“ zum nationalen Hit. Auf den afroamerikanischen Radiostationen. BB hat übrigens Zeit seines Lebens immer gerne Lieder des grossen Lowell Fulsom (1921 – 1999), manchmal auch Fulson geschrieben, gespielt. Fulsom war der Sohn einer afroamerikanischen Mutter und eines indianischen Vaters, vom Stamme der Choctaw, geboren in einem Reservat bei Tulsa, Oklahoma. Er war einer der wichtigsten Pioniere des elektrischen Blues und des Rhythm&Blues, ein ungeheuer origineller Musiker und Charakter. BB King, Albert King, Freddie King, Earl King, die vier Könige des elektrischen Blues eben, haben ihn alle als Vorbild geschätzt.

Dann schrieb BB den Klassiker – gut, es gibt schon ältere Versionen dieser Nummer, aber BBs Umsetzung war frisch und originell – „Woke Up This Morning“. Sie machte ihn alsbald zu einem Super Star. Auf der afroamerikanischen Musikszene der späten Fifties. Zwischen 1952 und 1958 begann BB eine explosionsartig wachsende Zahl von Konzerten zu geben. Am Ende spielte er über 300 Shows pro Jahr. Diesen Rhythmus behielt er bei – bis ins hohe Alter hinein. 1952 verliess ihn seine erste Frau Martha. Sie hielt seine dauernde Abwesenheit und seine unzähligen Affären nicht mehr aus, wie so viele Frauen von Blues-Musikern. Seine zweite Frau Sue Carol verliess ihn 1966, aus ähnlichen Gründen. Danach hat der Blues Boy nie mehr geheiratet…

1965 baute BB King dann die ganz grosse Brücke. Was vor ihm keiner wirklich geschafft hatte.

Natürlich hatte es schon lange weisse Hipster (ich meine hier nicht die so genannten Hipster aus Zürich, jene aus unseren traurigen Tagen halt, mit den Bärten, ich meine Hipster im Sinne von Norman Mailers (1923 – 2007) berühmtem Essay „The White Negro“ (1957) , mit dem ich mich persönlich bis tief in die Knochen hinein identifiziere) und Musikfanatiker gegeben, viele von ihnen waren übrigens Juden, die den Blues liebten. Doch die grosse Masse der weissen Musikfreunde kannte weder den alten Delta Blues – noch kannten sie dessen Baby, den genuinen elektrischen Blues, dessen Pioniere BB King und seine Musiker-Generation waren.

Mit einer Serie von Konzerten – einige davon im berühmten Rocktempel Fillmore East in New York, New York – gewann er plötzlich abertausende von weissen Fans.

Weisse US-amerikanische Bluesmusiker wie Charles Musselwhite, Paul Butterfield (1942 – 1987), Mike Bloomfield (1943 – 1981) waren damals schon seit einigen Jahren enthusiastische Jünger ihrer grossen afroamerikanischen Vorbilder gewesen, deren Musik sie quasi-akademisch studierten. Sie machten die Welt auf ihre Vorbilder aufmerksam; genauso wie die britischen Blueser der 1960er; aber wir sind hier in den USA…

Und mit BB King gingen them Blues weltweit, eroberten die Herzen von Millionen.

Vier Könige kennt die Geschichte des modernen elektrischen Blues; BB King war der letzte von ihnen, der heimgegangen ist. Zum Lord Almighty, der am endlosen Himmel des Deep South über die Blues-Leute wacht.

Die anderen drei Könige haben unsere Welt lange vor ihm verlassen, sie alle hatten eine grundlegende, eine ureigene Art entwickelt, wenn es darum ging, mit einer elektrischen Gitarre ganz grosse Geschichten über die Menschenseele zu erzählen – und damit gleichzeitig ganz direkt zu den Seelen ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer zu sprechen.

Als erster hat uns Freddie King (1934 – 1976) verlassen, der Texas Cannonball, geboren in Gilmer, Texas, die Äxte seiner Wahl waren die Gibson Les Paul (gold top mit zwei P90-Tonabnehmern) und die ES 335, eine Schwester von BBs Lucille gewissermassen (aber mit einem F-Loch mehr).

Dann ist Albert King (1923 – 1992) von uns gegangen, der Mann aus Indianola, Missisippi, die Axt seiner Wahl war die Gibson Flying V, die er übrigens Lucy nannte (und es war wie bei Lucille, es gab keineswegs nur eine Lucy).

Dann hat sich Earl King (1934 – 2003) verabschiedet, der Mann aus New Orleans, Louisiana, ist auf der internationalen Musikszene wohl der am wenigsten bekannte unserer vier Könige. Doch dort unten, in der unvergleichlichen Crescent City der Südstaaten, wird er von den Musikern verehrt wie ein Halbgott, als einer, der die Musik der Stadt zutiefst geprägt hat. Dies absolut zu Recht, war er doch Autor vieler ganz grosser Blues- und Rhythm&Blues-Songs („Come On“ oder „Trick Bag“ zum Beispiel), die Axt seiner Wahl war die Fender Stratocaster.

Und nun ist BB tot! Mit 89. Schlafend gestorben, schwer krank. Ausgerechnet in Las Vegas, wo er ein Haus besass. Kein ungewöhnlicher Tod. Für einen Mann dieses Alters. Doch er war nicht einfach nur ein Mann. Er war einer der grössten Poeten der elektrischen Gitarre, ein lebendes Monument des Blues.

Er ist mir immer wie ein Unsterblicher vorgekommen…

The sky is crying – der Beale Street Blues Boy hat uns verlassen  – ich hatte befürchtet, dass er bald sterben wird, weil sein gesundheitlicher Zustand in letzter Zeit derart schlecht gewesen ist – doch ich habe heute den ganzen Morgen geweint, noch jetzt habe ich Tränen in den Augen – ich schäme mich keineswegs dafür, seine Musik hat mein Musikverständnis zutiefst geprägt, seit ich sie für mich entdeckt habe, 1976, als elfjähriger Bub.

BB King hat uns verlassen. Seine Musik wird in uns allen weiterleben.

In mir werden sie jedenfalls weiterleben, bis ich selber den Löffel abgeben muss: Them Blues!!!!

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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