Mein Nacken verkrampft sich, die schweißtriefenden Hände habe ich zu Fäusten geballt. Die Augen sind weit aufgerissen, meine gefräßigen Pupillen lechzen danach, jeden einzelnen Pixel zu verschlingen. Knotige Narben auf der rechten Wange zeugen von harten, brutalen Fausthieben.
Das mädchenhafte Gesicht ist bleich, die Bewegungen zombiehaft. Kettensägen-Massaker. Sie schmiert gelbliche Scheiße in die offenen Wunden. Die frischen, blutenden Schlitze quellen auf wie rosarote Luftballons. Milliarden von Bakterien kriechen durch die verängstigten Blutbahnen. Stinkender Eiter quillt aus allen Öffnungen. Die Sepsis wütet und mordet den wehrlosen Körper. Schwarze, krustige, aufgeblähte Haut löst sich ab, Mikroben zerfressen die inneren Organe. Asche zu Asche. Staub zu Staub. Ashes to ashes. The shrieking of nothing is killing. Den Kopf des Zweiten steckt sie in die dreckige, verstopfte Kloschüssel, in der sich Pisse und Scheiße stauen. „Durst hast du also? Ja? Dann trink? Trink, hab ich gesagt!“ Immer wieder zieht sie ihn am Schopfe aus der stinkenden Brühe, schreit ihm ins Ohr, taucht ihn wieder in die Schüssel, bis Urin und Fäkalien seine Luftröhre füllen. An seiner eigenen Scheiße, an der Scheiße seiner Opfer und Mittäter soll er ersticken! Wie einen nassen Sack lässt sie ihn leblos liegen. Rache! Vengence is mine!
Katharsis! Horror-Trash statt Diskursagonie
Die Tötungsarten in „I spit on your grave“ sind ein Sammelsurium aus menschlichen Urängsten, Schrebergärtner-Satire und prometheisch-mafiösem Mythos. Kein Wunder, dass der Film keine Jugendfreigabe erhielt und das Augsburger Amtsgericht sich 2012 bemüßigt fühlte, die Uncut-Fassung zu beschlagnahmen. Die Filmkritik strafte den Streifen allein aufgrund seines Sujets mit Missachtung. An Gewaltexzessen und Lynchjustiz will sich unsere diskursgeschulte Peace and Love-Intelligenzija nicht die Finger beflecken. Anstatt sich mit Zelluloid gewordenen Rachephantasien auseinanderzusetzen, suhlt man sich in der Agonie des widerspenstig zappelnden Poststrukturalismus.
Mich jedoch beflügelt die Konfrontation mit meinen Urinstinkten. Katharsis – die eigene Wut über ungesühnte Verbrechen weicht Abscheu, Erleichterung, Tatendrang. Mordlust, Rachebedürfnis, niedere Instinkte werden gebändigt durch brutalen Horror-Trash, der meinen Glauben an Gerechtigkeit wiedererweckt. Der Gedanke, dass sich ein Opfer zur Rachegöttin aufschwingen kann, ist tröstlich. All die Cosby-, Kinski-, Allen-, Polanski-Fälle zerren weniger an meinen Nerven, solange die Möglichkeit archaischer Rache in kreativen Köpfen spukt. Die Selbstzensur, die neurotische Befolgung diskursiver Schemata führt zu mehr Ungerechtigkeit als der Kitzel des Impulses, Grausamkeit stante pede zu rächen. Dass ich mich schließlich doch zügle, liegt an meiner grundsoliden Eingebundenheit in ein Rechtssystem, das ich immer noch für das bestmögliche halte, dem ich mich füge, um animalische Ausbrüche zu verhindern. Die Auseinandersetzung mit visuellen und verbalen Extremen zwingt mich allerdings, die eigenen Triebe zu kanalisieren und energiegeladen nach Fehlern im System (Recht und Gesellschaft) zu suchen. Das gelingt viel besser, wenn man die Ratio erst einmal über Bord wirft und den Geist befreit.
Deutsche Tabus und amerikanische Serienavantgarde
Der Rahmen, in dem Gewalt, Hass und Rache in Deutschland diskutiert werden ist eng gesteckt: Zwischen Carolin Emckes öffentlichem, kontroversem Diskurs („Wer behauptet, aus politischen Motiven heraus zu töten, (…) der muss den begangenen Mord auch öffentlich erklären (…). Worin sonst sollte der politische Charakter des Tötens bestehen?“ Zeit Online, 6.9. 2007) und Maxim Billers „Hundert Zeilen Hass“ (A bisserl Unterstützung, bitte! „Sie Leser, Sie Meinungsnichts.“ (11/91) bewegt sich das intellektuell Akzeptable. Der Rest wird marginalisiert und wahlweise mit den Labeln „rechts“, „neoliberal“ oder „sexistisch“ versehen.
Big Little Lies – Rape and Revenge klassenübergreifend!
Ganz anders bei unseren im Vergleich zu neudeutscher Prüderie und politisch korrektem Overkill fast schon progressiv anmutenden amerikanischen, ähm, Freunden. Sie scheuen selbst vor den urmenschlichen Triebfedern Sex, Geld und Gewalt nicht zurück, während sich die deutsche Urban-Lit-Species im Ennui badet und die veganen Wangen tätschelt. Gewaltdebatten um Nature und Nurture werden in amerikanischen Serien genauso selbstverständlich in das Szenario eingebaut, wie sie in skandinavischen Ländern tabulos erforscht werden. In der HBO-Serie „Big Little Lies“ fragen sich Serien-Super-Mummies, ob der Sprössling womöglich das Gewaltgen des Vaters geerbt haben könnte. In einem Tatort eine geradezu häretische Mutmaßung!
In „Big Little Lies“ werden wir auch Augenzeugen eines großartigen Ringens mit Narzissmus und Bequemlichkeit. Ein reizendes Quintett von Helikoptermüttern spielt uns ein Upperclass-Stück erster Güte vor. Ist das nun Satire oder die typische Soap-Tradition à la Denver-Dallas-Sex-wherever? Weder noch. Die Mini-Serie zeigt uns, dass es nicht nur prekär besoldete Künstler und fette Beamtenärsche gibt, sondern eine Gesellschaftsschicht, die wir allzu gerne ausblenden aus Angst vor unserem eigenen Sozialneid, unserer Abkapselung im Mikrokosmos der Gleichgestrickten. Dabei lohnt es sich, sieben Episoden bei der Stange zu bleiben, denn am Ende triumphiert die Solidarität der Frauen über den Gewalttäter, trotzt das Urbedürfnis nach Gerechtigkeit und Sühne Klassenunterschieden und eitlen Selbstbespiegeleien.
Selbstverständlich gibt es Knochenbrüche und gerichtsmedizinische Gutachten an der kalifornischen Küste. Das entzückende Episödchen des in den Hals gerammten Korkenziehers aus „Girl on the Train“ (ein weiterer Women’s Solidarity-Film) fehlt zwar. Immerhin ist der Plot und seine klassische Rape and Revenge-Auflösung erquickender als die europäische Selbstzerfleischungsorgie à la Lars von Trier. Wenn schon Gewalt, dann gegen sich selbst? Mach doch mal die Flasche auf, chéri!