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Nirvana Express

So lasse ich also die letzten paar Jahre Revue passieren. Eine Prozession des Grauens, Fest des Versagens. Fronleichnam. Mindestens. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich hatte keine Chance. Und ich habe sie auch nicht genutzt.

So ab Anfang 2010 hätte ich die Möglichkeit gehabt, in eine aufregende neue Dimension vorzudringen, stattdessen habe ich mutterseelenallein auf der Bug-Terrasse jener mächtigen, komplett verrosteten Autofähre rumgehangen, in die Dunkelheit gestarrt, in der Kälte, im Winternebel, mich mit einer Möwe verbrüdert, die das Schiff manisch kreischend begleitete – wie ein psychotischer Trabant –, während die anderen Reisenden drinnen ausgelassen feierten.

Mit Sekt und Grappa.

Ich hätte mir wohl Ziele setzen, Ziele erreichen können. Stattdessen bin ich ohne Fahrkarte in den Zug nach Nirgendwo gestiegen, habe mich dort monatelang – unter den Bänken – vor dem Schaffner versteckt und von Brotkrumen gelebt, die traurige Passagiere beim Essen fallen liessen, manchmal war auch ein Fitzelchen Speck (vom weissen) oder Salat dabei, manchmal einige Flecken schmierige Butter, die ich wie eine Katze vom Boden aufleckte, zudem habe ich die letzten Tropfen aus stehen gelassenen Bierflaschen gesaugt. Tropfen des Elends.

Wie Tränen auf ausgetrockneter Zunge.

Natürlich ist mir die gute Fee erschienen. Sie hat nach meinen Wünschen gefragt. Ich hätte alles bekommen können. Aber ich sagte nur „weiss nicht“. Und da zog sie halt weiter. Ich träume noch heute von ihr. Doch ich bin mir sicher, dass sie ausserstande ist, mir eine zweite Chance zu geben. Sie ist nun in einen anderen Himmel gezogen. Dabei hat mir jene Frage auf der Zunge gebrannt, just als mir die gute Fee damals, dem Nichts entsteigend, erschienen ist: “Willst Du mich heiraten?”

Doch ich konnte es nicht sagen.

Auch einen Brief habe ich abgeschickt. Ordnungsgemäss frankiert. Leider habe ich vergessen, das Kuvert mit einer Adresse zu versehen. Neun mal ist er um die Erde gereist. Neun mal hat er unseren blauen Planeten umkreist. Am Ende ist er wieder zu mir zurückgekommen. An einem anderen grauen Tag. Also habe ich ihn gelesen. Da stand: „Ich liebe Dich.“

Zurück an den Absender.

Man hat mir so einiges angeboten. Ich habe alles ausgeschlagen. Aus allerlei Launen und Stimmungen heraus. Die Leute haben es mir übel genommen. Ich kann das gut verstehen. Aber ich kann halt nicht aus meiner Haut.

Und zuviel Arbeit liegt mir genauso wenig – wie zuviel Ruhe.

Die Raupe hat sich nicht in einen Schmetterling verwandelt. Sie ist als Raupe verendet und wurde von einem Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes  in einen Gully befördert. Mit einem mächtigen Wasserstrahl. Adieu kleine Raupe.

Für Dich gibt es keinen Himmel!

Ich esse das nicht, es ist ekelhaft, habe ich dem Kellner erklärt, ich bezahle trotzdem, aber richten sie dem Koch aus, dass er ein verdammter Versager ist!

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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