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Zwischen 12 und 17 – ein christliches Aufklärungsbuch

Wächst du in einer Freikirchen-Familie auf, musst du mit einigen Dingen im Leben klarkommen, welche deine „normalen“ Schulfreunde so nicht erleben. Fasnacht ist verboten. Filme sind verboten (ausser Filme mit christlichem Hintergrund, die zuerst von diversen christlichen Magazinen gesichtet und positiv bewertet worden sind). Weihnachten ist die heiligste aller heiligen Zeiten und während deine Schulfreunde sich ihre virtuellen Nasen während weihnachtlichen mortal Kombat-Turnieren haben blutig schlagen lassen, duftest du dir deinen christlichen Arsch an der Waldweihnachtsfeier abfrieren.

Alleine der Verdacht auf sexuelle Kontakte mit einer Person des anderen Geschlechts muss gemeldet und an die Eltern berichtet werden. Wie damals, als ich angeblich in einer Woche mit drei verschiedenen Mitgliedern des weiblichen Geschlechts bei Kaffee trinken gesehen wurde. Drei!

Auch Aufklärung läuft in solchen christlichen Kreisen ein wenig anders. Da wurde dir von der Familie auch gerne mal die BRAVO zensiert – und glaubt mir, wenn man alles Sexuelle aus der Bravo rausnimmt, bleibt da echt nicht mehr als ein paar BSB- oder Take That-Artikel.

Kurz vor meinem zwölften Geburtstag bekam ich von Verwandten ein Aufklärungsbuch geschenkt. Zwischen 12 und 17 – Tips für Teens, geschrieben von Eberhard Mühlan. Nach kurzem Durchblättern und dem Realisieren, dass das gelesene mich irgendwie verstört, hab ich das Buch bald mal in den Müll geschmissen. Doch, aus Gründen von Nostalgie habe ich mir jetzt, im gesetzten Alter von 36 Jahren, eine weitere Ausgabe dieses Werkes geholt. Und gerne nehme ich euch mit und gehe mit euch durch die besten Passagen dieses Werkes.

Mit sehr schrägen und uncoolen Cartoons wurde dieses Werk gespickt. Autor Mühlan würde den Leser gerne persönlich kennenlernen und erzählt von seiner Familie, von seinen zwölf (!) Kindern und schon auf der zweiten Textseite bekommen wir zu hören, das Rauchen nicht so super ist.

„Weisst du, eine Zigarette im Mundwinkel und ein Mädchen im Arm machen einen Menschen noch lange nicht erwachsen.“

Na, damit trifft Herr Mühlan die KULT-Redaktion (alt und neu) mitten ins Herzen.

Schon auf der nächsten Seite gehen wir in die Illegalität aller Schulen. Denn, wir wissen alle, wie verstörend die BRAVO und andere Jugendzeitschriften sein können.

„Die Zeitschriften an den Kiosken machen dich neugierig. Du willst wissen, was Jugendliche mögen, wie sie Leben. BRAVO und andere Jugendzeitschriften werden unter den Schultischen gehandelt. Mach einem Teenager ist das schon zu harmlos, er greift lieber zu Pornoheften und harten Videos.“

Okay, Herr Mühlan. Sie erwischen auch mich hier, denn ich war in der Schule praktisch ein Videoverleih auf zwei Beinen und hab meinen Freunden von Rambo bis Predator alles ausgeliehen, was uns irgendwie ein Blutgericht präsentiert hatte.

„Cliquen oder Banden bilden sich. Schon wird die erste Zigarette geraucht und bei der Klassenfahrt kreisen im Schlafraum heimlich Bierflaschen, während einer an der Tür Wache steht.“

Der liebe Herr Mühlan scheint in der Bronx aufgewachsen zu sein. Cliquen, klar, aber Banden? Alter Falter… Hab ich da was versäumt? Waren mein nerdiger Star Trek schauender und Fussball spielender Kollegen etwa eine Bande?

Anyway, der gute Eberhard Mühlan (ich nenne ihn fortan nun beim Vornamen, denn irgendwie entwickle ich beim Lesen nun eine Verbindung zu ihm), will mir als nächstes Erklären, was denn im Alter zwischen 12 und 17 mit meinem Körper passiert. Nach einem kurzen Abriss über Hormone, seelische Veränderungen, Schlaf und Ernährung gehts ans Eingemachte.

„Es kann vorkommen, dass sich dein Glied plötzlich versteift, ohne dass du es beabsichtigst. Das könnte peinlich sein. Ein Tip: Trage nicht so enge Kleidung, damit es nicht unnötigt drückt und scheuert.“

Ah ja, danke für den Modetipp Eberhard, du kleine Shopping Queen, du.

„Bei jedem Samenerguss werden Millionen von Samenzellen ausgestossen, die so winzig sind, dass du sie mit blossem Auge nicht einmal sehen kannst. Aus einer dieser Zellen könnte ein Kind werden, wenn sie in eine Frau gelangen und sich in ihrem Leib mit einer ihrer Eizellen vereinen würde. Du siehst, dies ist eine wichtige Erfahrung, die dir zeigt, dass du nun viel Verantwortung trägst. … aber bist du wirklich Vater werden kannst, werden noch viele Jahre vergehen, in denen du deinen Geschlechtstrieb beherrschen und lenken musst.“

Ich fühle, als hätte ich einen Nuklear-Sprengkopf in der Hose.

Nachdem Eberhard nun auch noch den Körper der Frau und dessen Veränderungen beschrieben hat (keine Bilder!), ging er auf die seelischen Veränderungen ein, die jeder Teenager in irgendeiner Form mitmacht. Bibelzitate, Vegeben, Entschuldigen, nicht böse sein, etc. Aber, jetzt erfahre ich auch noch schlimme Dinge. Denn, es gibt Menschen und Dinge, die nach meiner Seele greifen werden.

„Kaum bist du elf oder zwölf Jahre alt, greifen schon geldgierige Geschäftemacher nach dir und wollen dich zu einer Modepuppe oder einem Konsumtrottel machen. Du weisst doch, was ein Konsumtrottel ist? Kaum wird die neue Limonade im Werbefernsehen angespriesen, trottet Karlchen klein auch schon zum nächsten Kiosk, um sie sich zu kaufen. … Aber das ist noch harmlos im Vergleich zu anderen, die sich schmeichelnd an dich heranmachen. Da gibt es Weltverbesserer, die Gott, die Bibel und deine Eltern hassen.“

What the fuck? Also, wer soll bitteschön meine Eltern hassen? Und warum? Und von wegen schmeichelnd an dich heranmachen, in wievielen Freikirchen existiert hässlichster Vergewaltigungs-Inzest? Schön wird dieses Thema bislang herrlich verschwiegen. Aber ich hab Hoffnung. Eberhard wirds schon richten, oder? Zuerst richtet er den Blickpunkt aber wieder auf sein offensichtliches Lieblingsmagazin, der BRAVO und andere Magazine.

„Viele Zeitschriften, die Erwachsene lesen, sind auch nicht besser. Dorf findet man den gleichen Rummel um Geld, Gewalt, Schönheit und Sex, der den Leser nur auf falsche Gedanken und Wünsche bringt. Nimm dir lieber ein Buch mit, wenn du beim Zahnarzt oder beim Friseur im Wartezimmer sitzen musst, damit du nicht auf diesen Schund angewiesen bist.

Ah, danke Eberhard. Wäre noch spannend, hättest du uns einige Buchempfehlungen dagelassen.

„Zum Beispiel habe ich in der BRAVO die Geschichte von einem Jungen gelesen, dem der Spass an der Schule vergangen war. … Stell dir vor, schon mit vierzehn Jahren brachte er seine erste LP mit einem irren Sound heraus. Ich gratuliere, hoffentlich reicht sein Grips um die Knete zu zählen, die ihm in den Schoss gefallen ist.“

Schon ein bisschen bös, der gute Eberhard. Gönnt er Petty, Springsteen und Konsorten effektiv keinen Erfolg. Also, mit Musik scheint er irgendwie auf Kriegsfuss zu stehen. Das Eis wird langsam dünner.

„Viele Teenager schauen sich sehr gern die sogenannten Fantasy-Filme an, die sie in einer phantastischen Märchenwelt von Hexen, überirdischen Wesen, Dämonenkämpfen und selbst Teufelsanbetung gefangennehmen.“

Ja, bitte hier, Filmtipps erwünscht!

„Diese Filme sind alles andere als ein harmloser Zeitvertreib. Sie wollen auch nicht unterhalten, sondern Hilfe und Erlösung aus dem Weltall oder von finsteren Mächten anbieten.“

Eberhard, ich geb dir gern mal einige richtig gute Filme mit auf den Weg. Musst ja auch nicht die billigen C-Movies schauen, die damals in den Achtzigern noch im TV liefen.

„Ich muss dich leider warnen: Das alles ist kein Bluff, Spass oder Quatsch! Den Teufel gibt es wirklich, auch wenn manche über solch eine Vorstellung lachen.“

Hab hier schon ein bisschen Angst. Wir tauchen aber weiter ab in die Welt der Musik.

„Musikhören ist sicherlich etwas Schönes. Du musst nur darauf achten, wieviel Zeit du dir dafür nimmst und was du dir anhörst. Manch einer hat sein Radio oder seinen Kassettenrekorder ständig laufen. Er kann die Stille schon gar nicht mehr aushalten.“

Jop, und jetzt kommts…

„Denn beim Hören von Musik entstehen Stimmungen; Musik kann einen Menschen gefühlsmässig enorm beeinflussen. Jemand, der sich eine Platte mit einhämmernder Rockmusik zigmal über Kopfhörer anhört, kann dadurch in einen bewusstseinsverändernden Rauschzustand und in ungute sexuelle Erregung kommen.

Vor einer Musikrichtung muss ich dich vor allem warnen: dem modernen Hardrock oder Heavy Metal, wie er auch genannt wird. Vielleicht hast du schon von Gruppen wie AC/DC, Black Sabbath, KISS, Dio, Merciful Fate, Venom und Slayer gehört. Die Musiker dieser Gruppen verkünden Gewalt und beten offen den Teufel an.

Da ihre Texte grösstenteils in Englisch gesungen und sowieso kaum verständlich sind, wissen die meisten Hörer gar nicht, um was es dabei geht. Würdest du die Texte verstehen, dann würdest du die Platten wohl vor Abscheu in die Ecke werfen. … Brutalität und Tod, Vergewaltigung und sexuelle Quälereien, Satansanbetung und Gotteslästerungen. Die Gruppe Black Sabbath bringt mit ihrer harten Rockmusik Teufelsbeschwörungen und Hexenkult. …

Die bekannteste LP von AC/DC heisst Highway to hell (Autobahn zur Hölle). Tausende von Teenagern haben den Titel auf Konzerten oder in ihrer Bude begeistert mitgesungen.“

Puh, das war ja mal informativ. Danke Eberhard, für die Shoppingliste weiter oben. Eberhard zitiert etwas später Bob Larson, ehemaliger Rockmusiker und Pastor, der später im TV Exorzismus praktizierte.

„Satan weiss, wenn er in diesen letzten Tagen vor der Wiederkunft Christi wirkungsvoll arbeiten will, dann muss er Kontrolle über die Jugend gewinnen. Satan benutzt Hardrock, um diese Generation zu beherrschen. Mit meinen eigenen Augen habe ich Jugendliche gesehen, die beim Tanzen von Rockmusik von Dämonen besessen wurden. Dies war besonders bei Mädchen beobachtbar.“

Ja okay, die haben irgendwie eins an der Klatsche. Ich möchte hier noch nachtragen, dass ich selbst während der Unterweisungslagers (das ist so quasi die Vorbereitung der Konfirmation/Taufe bei den Mennoniten) von unseren Leitern erfahren hab, dass viele dieser bösen, bösen Bands, ihre Lieder so einsingen, dass wenn man die Songs rückwärts abspielen lässt, sie dir unterbewusste Texte einhämmern wie „Marihuana, Marihuana“ oder so. True Story.

Eberhard zieht weiter und thematisiert Drogen, Zigaretten und Alkohol, ebenso Gruppendruck. Und, er geht auf die Schule los. Aufklärungsunterricht zum Beispiel.

„Im Biologieunterricht werdet ihr über die Entwicklung des Menschen, den Unterschied von Mädchen und Jungen und auch über Geschlechtsverkehr sprechen. Es ist gut, darüber Bescheid zu wissen. Aber was häufig verschwiegen oder falsch dargestellt wird, ist die Tatsache, dass die geschlechtliche Liebe in die Ehe hineingehört. Das geschlechtliche Ausprobieren ist die schlechteste Vorbereitung auf eine gute Ehe.“

Aha, also lieber die Katze im Sack kaufen. Alles klar.

Weiter warnt uns Eberhard vor Lehrern, die nicht an Gott glauben, vor falschen Politikern. Und jetzt gehts plötzlich um die Liebe. Der Leser wird mal wieder davor gewarnt loszupimpern ohne in einer geschlossenen Ehe zu sein und erwähnt mal wieder die BRAVO. Selbstbefriedigung wird von ihm genau so widerlich bezeichnet wie auch schon die anderen Kapitel, „ist aber zum grössten Teil ein Problem von Teenagern, die viel Langeweile haben und einsam und freudlos sind“. Glück gehabt.

Der Eberhard kennt den Begriff Homosexualität und hat natürlich auch darüber eine Meinung.

„Die Bibel verurteilt Homosexualität jedoch als Sünde, weil der Mensch seine eigene Geschlechtlichkeit verdreht und nicht so lebt, wie er von Gott geschaffen wurde. Lass dich niemals von einem anderen Jungen beziehungsweise von einem anderen Mädchen verleiten, euch gegenseitig zu streicheln oder zu erregen; erst recht nicht von einem Erwachsenen.“

Der Eberhard hasst also Schwule und Lesben. Überrascht mich jetzt nicht mehr so wirklich.

Das Buch endet mit der Bitte oft zu beten und die Bibel zu lesen, aber was bleibt mir denn auch noch anderes übrige? Sex ist verboten, Musik auch, Filme auch, Drogen, Bier, Party und das Leben generell ja auch.

Dieses Buch ist ein absoluter Kaufzwang für alle, die mal nach einigen Bieren ihren Freunden und sich selbst was gutes tun wollen. Lest einander vor und ihr werdet euch in Lachkrämpfen winden.

Jedoch, legt man Kindern solch ein Buch vor, bringt man diesen Kids Werte bei, welche alles andere als tolerant oder liebevoll sind. Homosexualität ist böse, Musik ist böse, Filme sind böse. Eberhard Mühlan ist genau der alte Christ, für den einfach alles vom Teufel kommt, was Spass macht oder das Mittelalterdenken von Hardcore-Christen völlig überfordert.

Buchtitel: Zwischen 12 und 17 – Tips für Teens
Verlag: Schulte + Gerth
Autor: Eberhard Mühlan

Verpasst nicht unseren Artikel: Von Religionen und Klingonen

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Autor: Dominik Hug

Mitdreissiger. Basler. Auch im Erfolg stets unzufriedener FCB-Fan. Filmkritiker. Leidenschaftlicher Blogger. Strassensportler. Apple User. Hat eine Schwäche für gute Düfte. Liest eBooks. Hört gerne Rockmusik. Fährt einen Kleinstwagen. Geht gerne im Ausland shoppen. Herzkalifornier. Hund vor Katze. Hat immer eine Sonnebrille dabei. Gelegentlicher XBox-Zocker. Hat 2016 überlebt.

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