«Die Frau hat gelächelt. Und mir die Sonne angeboten. Ich habe abgelehnt. Weil ich längst tiefgefroren war. Bis in meinen Kern hinein.
Zu dunkel waren die Strassen, auf denen ich mein Leben lang wandeln musste, zu hoch waren die Berggipfel, auf denen ich mich vor eurem Rummel versteckt, zu tief waren die Täler, die ich durchschritten habe.
Auf der Suche nach finsteren Göttinnen, von denen ich mich in Stücke reissen lassen wollte.
Doch auch diese letzte Gnade blieb mir – bis anhin wenigstens – versagt.
So bin ich eben gewandelt, unter dem Blutmond, Höllenhunde auf den Fersen. Mit meinem rostigen Schwert auf dem Rücken, das auch schon bessere Tage gesehen hat.
Hunger und Durst haben mich gequält. Doch dies war noch einigermassen auszuhalten.
Im Gegensatz zu jenem Austrocknen der Seele, das auch der stärkste Regen nicht verhindern kann.
Ja. Regen hat es mir beschert. Das Leben. Und Pulver, Pillen, Pachtverträge, Petrischalen…
Unter jeder Brücke haben Krokodile gelauert. In jedem Busch Giftschlangen. Und die Blutegel haben sich an mich geheftet, haben mir die Wärme aus dem Körper gesogen, die Fantasien aus dem Kopf.
Schlaflos war ich als Wanderer. Und ratlos.
Oft genug habe ich den Himmel verflucht, die Erde gerade noch dazu. Genauso wie die Dornen, die meine Hosenbeine zerfetzten. Längst bin ich zum Wolf geworden, der einfach den Mond anheult.
Denn die Sonne ist für die Glücklichen, die auf der Siegerseite des Lebens stehen. Den Verlierern bleiben der Blutmond sowie die Sterne, die im Dunkeln leuchten.
Und damit bloss der Abglanz des Sonnenlichts.
Hin und wieder begegnet mir ein anderer Wanderer. Auf den Pfaden der Dunkelheit. Dann zücken wir beide, wortlos, wie es unseren ungeschriebenen Gesetzen entspricht, unsere Schwerter, hauen, stechen aufeinander ein.
Bis einer liegen bleibt. Nimmermehr aufsteht.
Der Verlierer empfindet seine Niederlage als Gnade, erlöst sie ihn doch vom Wandeln. Auf diesen unendlichen Irrwegen ohne Ziel, ohne Zweck.
Wandeln; im Schatten der Angst, durch das Labyrinth der Schmerzen, am Leib die Kostüme einer anhaltenden Müdigkeit.
Hier draussen in der Einsamkeit gibt es keine Lust, kein Lachen, keine Lebkuchen, keine Wahl.
Hier rollt man mit den Schlägen. Ausweichen unmöglich. Hier wird das Leben zu einer einzigen Kette aus Aktion und Reaktion.
Etwas oder jemand geht auf dich los. Du schlägst es nieder.
Weil du sonst selber liegen bleiben würdest.
Ich bin recht gut geworden im Niederschlagen.
Obwohl das Liegenbleiben doch die Erlösung bedeuten würde. Auch für mich. Doch etwas, es lebt tief in meinem Inneren, ein Biest ohne Sinn und Verstand, treibt mich an. Weiter, immer weiter.
Ich mache mir schon lange keine Gedanken mehr über die Vergangenheit, ja nicht einmal über die Gegenwart.
Ich kann nicht sagen, dass ich glücklich oder unglücklich wäre. Ich bin einfach.
Und gehe weiter.
So kam es, dass ich sogar jener lächelnden Frau – und wunderschön war sie – einen abschlägigen Bescheid gegeben habe. Wie sie mir die Sonne angeboten hatte, die sie unter ihren Röcken trug.
Ich habe ihr nur müde zugewinkt, als sie mir Licht, als sie mir Rettung in Aussicht stellte.
Denn es gibt keine Rettung mehr, wenn man eine bestimmte Grenze überschritten hat. Nur noch mechanisches Wandeln.
Bis man schliesslich im Dunkeln liegenbliebt, bis die Seele den Körper verlässt, zu jenen finsteren Göttinnen hinüber zieht, die sie – nun endlich – genüsslich in Stücke reissen.
Ein langwieriger Prozess, der erst aufhört, wenn die Zeit stirbt…»
Der Erzähler verstummt.
Seine Zuhörerinnen starren mit dunklen Augen – Regenbogenhäute nicht von Pupillen zu unterscheiden – ins Leere.
Der Erzähler hüstelt, wechselt plötzlich die Stimmlage, ruft nun in munterem hellen Ton seine Anliegen in die Damenrunde: «He, hat mir eine von Euch Vanilleeis mitgebracht. Und welche von Euch bläst mir nachher einen? Dort drüben? Hinter dem Busch. Aber komplett mit Schlucken bitte. Es können gerne auch gleich zwei von Euch mitkommen.»
– Sein Lohn für die Geschichte.
Ausbezahlt in jener uralten Währung der Zungen.