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Gang durch die Institutionen

„Am Samstag gibt es in der Kiesgrube in Andelfingen eine Techno Open Air Party. Dort legt Sven Väth auf.“ – „Wer ist das?“ – „Der zurzeit beste DJ der Welt!“

Dieser Dialog spielt sich im Hauptbahnhof Zürich ab. Der Grosse erklärt dem Kleinen die Welt. Wobei der Grosse einige Jahre jünger ist als der Kleine. Der Kleine, das bin ich. Der Grosse heisst Michael Schuler. Ich rede hier übrigens nicht von Körperlänge, dann sähe es nämlich anders aus. Wir schreiben das Jahr 1993.

Damals übe ich noch als „Musikjournalist“. Es ist die Zeit kurz vor Sputnik TV und Sputnik Magazin. Und noch vor der zweiten Street Parade, die ich wie die erste ebenfalls verpassen werde. In der Szene gibt es einige junge Musikjournis, die ihren Job sehr ernst nehmen. Sehr sehr ernst. Sie lachen nie, machen keine Sprüche, geben sich immer nur hochprofessionell. Sie himmeln auch keine Stars an. Sie wahren stets pflichtbewusst die kritische Distanz. Sie sind „incorruptible“. Nicht so wie ich, das hoffnungslose Groupie. Für mich war es keine Berufung, sondern eine Zwischenstation, auf der man – wenn schon die Bezahlung ausblieb – wenigstens Spass haben sollte.
Ob Michi damals Musikjourni war oder auf der „anderen Seite“ stand, also bei einem Musiklabel/-vertrieb arbeitete, weiss ich nicht mehr. Er war auch nicht ganz so ernst, aber trotzdem berufen, das merkte ich. Er war absolut topinformiert, wusste was angesagt war – auch was die damals neue elektronische Tanzmusik betraf. Ich folgte seinem Rat und fuhr nach Andelfingen in die Kiesgrube.

Ich habe es nicht bereut. Die Party war der Hammer. In mehrerer Hinsicht war sie für mich eine Premiere und Offenbarung. Sven spielte seinen Hit „L‘Esperanza“. Alle waren happy. Ich auch. Und ich war von Michi beeindruckt.
Danach habe ich ihn kaum je wieder gesehen. Alle paar Jahre bin ich ihm mal zufällig über den Weg gelaufen. Und heute ist er Leiter der Fachredaktion Musik beim Schweizer Radio und Fernsehen. Er hat den Gang durch die Institutionen gewählt. Und wird nun von Kutti MC angepöbelt. Der dafür auf Facebook „zahlreiche Likes und zustimmende Kommentare“ erntete, wie 20min.ch schreibt.

Wow! Let’s make a revolution!

Schuler nimmt‘s mit Humor. Was denn sonst? Auch wenn er seine langen Haare längst abgeschnitten hat und auf dem Foto eher aussieht, wie ein Carrierista der SBB als einer, der sich richtig gut in der Musik auskennt (was ist der Fotograf eigentlich von Beruf? Wobei in meiner Mittelschulzeit bei uns alle Musik-Nerds so ausgesehen haben), so bleibt er für mich immer der Held, dem ich – nur durch seine Empfehlung – einen kleinen Meilenstein in meinem Leben zu verdanken habe. Ich weiss nicht, wie gut er seinen Job als SRF-3-Musikleiter macht. Aber ganz ehrlich wüsste ich jetzt auch grad keinen, der ihn besser machen könnte.

Hintergrund:
http://www.20min.ch/people/schweiz/story/Jetzt-wehrt-sich-der-SRF3-Musikchef-22476856

Sven Väth, L’Esperanza:

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Autor: Henrik Petro

In den 90ern prägte Henrik als Moderator von Sputnik TV trotz seines Ostschweizer Dialektes die Erinnerungen der Partyjugend bis heute. Während mehrere Jahre war er Chefredaktor des gleichnamigen Magazins. Später schrieb er fürs Fernsehen (u.a. Chefautor von Dieter Moor und Rob Spence, eine Folge der SitCom "Fertig Luschtig") und produzierte auch (u.a. 150 Folgen von "Der Scharmör"). Er war die ersten Jahre von Radio Street Parade Musikchef und war dann später einige Jahre Autojournalist.

Arbeitet heute hauptberuflich als Frauenversteher, aber da er von seinen Freundinnen, BFFs, Kolleginnen und wem er sonst noch sein epiliertes Ohr leiht, kein Geld dafür verlangen kann, dass sie ihm ihre Männerprobleme in allen Details schildern, arbeitet er zusätzlich noch gegen Entgelt als Chefredaktor in einem Fachverlag. Damit sein Hirn unter dieser Belastung (und wegen Handy-Antennen) nicht explodiert oder eine Selbstlobotomie durchführt (was ihm zwar die Aufmerksamkeit von Gunter von Hagen garantieren und somit zur Unsterblichkeit verhelfen würde), schreibt er Kolumnen für kult. Am liebsten über menschliche Begegnungen. Oder überhaupt über Menschen. Oder darüber, was Menschen so tun. Oder getan haben. Oder tun könnten. Oder sagen. Oder gesagt haben. Oder sagen könnten.

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