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In Causa Müller

Ich bin kein Freund von Geri Müller, weder Freund seiner Partei, noch seiner Politik. Aber das tut hier überhaupt nichts zur Sache. Ich kenne Herrn Müller nicht persönlich und nenne ihn deshalb auch nicht Geri (schliesslich bin ich nicht per Du mit ihm – sind Sie’s etwa?). Und ich spreche schon gar nicht vom #gerigate. Denn Häschtäg Gerigate ist Blick am Abend Niveau. Oder Apéro Journalismus, wie dies kürzlich jemand bezeichnete. Ich begegne dem Protagonisten in seiner unrühmlichen Geschichte mit Respekt – ganz einfach, weil er es nicht anders verdient hat. 

Schon wieder ein Artikel über Geri Müller? Ist nicht langsam genug über diese Geschichte gesprochen worden? Ja, ist es in der Tat – wenn man all die hetzerischen Storys in der nationalen (und mittlerweile internationalen) Medienlandschaft anspricht, dem rollenden Denunzianten-Express, auf welchen bis dato beinahe alle aufgesprungen sind, und den man scheinbar nicht mehr stoppen kann. Nein, ist es hingegen nicht, noch lange nicht, wenn man faire, Hintergründe beachtende und berücksichtigende publizierte Artikel meint.

Ich verfolge die Angelegenheit seit dem ersten Tag mit grossem Interesse. Und mit steigendem Ärger darüber, mit welcher Respektlosigkeit mit Menschen umgegangen wird. Richtig: Personen des öffentlichen Lebens besitzen per Definition einen geringeren Anspruch auf Privatsphäre als Otto Normalverbraucher. Aber, und hier liegt ein springender Punkt: Auch eine prominente Persönlichkeit hat Anrecht auf Intimsphäre, und dass anständig mit ihr umgegangen wird. Genau diese Grenze wird in zunehmend drastischem Masse überschritten. Von Medien, welche in ihrer Abhängigkeit von Leser- und Zuschauerzahlen, im täglichen Kampf um Primeur und Schlagzeile immer weiter gehen und vor immer weniger zurückschrecken – auch nicht davor, Gesetze zu brechen. Journalisten hingegen verstecken sich hinter dem Quellenschutz und halten die Pressefreiheit für das höchste Gebot.

Im Fall Geri Müller haben sich eine Grosszahl (um nicht erdrückende Mehrheit sagen zu müssen) der Medien darauf eingeschossen, die Person Müller systematisch zu demontieren. Ein Zurück gibt es aus dieser Spirale nicht. Auch nicht für ihre Zulieferer und Informanten. Das haben schon zahlreiche Vorgänger Müllers zu spüren bekommen. Im besten Falle wird ein solches Opfer eines Tages vor dem Richter rehabilitiert, darüber wird eine Kurznotiz verfasst, und der Geschädigte bleibt dann auf dem Scherbenhaufen seiner Persönlichkeit sitzen. Er versucht, möglichst schnell wieder aufzustehen und weiterzumachen. Im angestammten Beruf, oder vielleicht auch als Aussteiger irgendwo im Ausland auf einem Bauernhof.

Die Medien aber alleine verantwortlich zu machen, wäre gleichermassen vermessen wie falsch. Steigbügelhalter für eine erfolgreiche öffentliche Demontage einer Person sind unkritische Konsumentinnen und Konsumenten. Ihren Hunger gilt es zu nähren. Im Zusammenhang mit Müllers Selfie-Geschichte treten verschiedenartigen Kategorien auf:

Der Konservative
„Es gehört sich nicht, Nacktfotos zu erstellen. Schon gar nicht, diese anschliessend jemandem zu zeigen. Und erst recht nicht, diese Sauerei in einem öffentlichen Gebäude zu veranstalten.“

Die Ansicht, dass menschliche Geschlechtsteile etwas Ekelerregendes sind, darf man haben. Was man hingegen nicht darf: Sie jemandem aufzudrängen, ein Kind damit in seiner natürlichen Entwicklung zu beeinträchtigen – und erst recht nicht, jemanden zu verurteilen, weil er seinen Penis nicht bloss zum urinieren braucht.

Der Moralist
„Das ist doch einfach gruusig, das hätte ich nie von einem Stadtpräsidenten erwartet! In solch einem Amt kann man sich so etwas einfach nicht leisten.“

In der Tat: Man hat in den wenigsten Fällen auch nur einen winzigsten Schimmer, was sich im Privatleben einer Person alles abspielt. Sei es nun Abartiges oder völlig Normales. Es hat Unbeteiligte auch einen Dreck zu interessieren, was man selber so treibt. Solange man dabei keine Grenzen überschreitet, die nicht überschritten werden dürfen. Wer den Mahnfinger erhebt, lenkt dabei eventuell bloss von sich selber ab und ist insgeheim froh, dass nicht schon das eine oder andere eigene pikante Detail an die Öffentlichkeit gelangt ist.

Der Gleichgültige
„Igitt, so einer ist doch ein Sauhund. Wer will den von so einem den Pimmel sehen?! Dem würde ich die Hand nicht mehr geben.“

Solche Menschen haben zu allem und jedem ihren Senf dazu zu geben. Was sie lesen oder hören verflüchtigt sich anschliessend meist sehr schnell. Hauptsache, sie haben vorher noch schnell einen Leserkommentar abgegeben, dem am Boden Liegenden einen Tritt in die Magengrube versetzt.

Der Intrigant
„Ich habe schon immer gesagt, mit dem ist etwas nicht koscher. Wird Zeit, dass er seinen Stuhl endlich räumt. Ich habe zudem gehört, dass…“

Diese Mitspieler waren entweder von Anfang an involviert, oder sie springen einfach auf den fahrenden Zug auf, weil das ganz praktisch ist. Sie haben etwas gegen die Politik und die Vorgehensweisen von Müller und jetzt ein bequemes Mittel gefunden, einen unbequemen Mitstreiter zu beseitigen, ohne sich dabei ernsthaft selber die Finger schmutzig zu machen.

Die Mehrheit hat nicht immer recht. Möglicherweise lag sie falsch, als sie Müller in sein Amt als Badener Stadtpräsidenten gewählt hat. That’s Democracy. Die Mehrheit hat aber ganz bestimmt dann unrecht, wenn oben genannte Player zusammen in nicht repräsentativen Meinungsumfragen das Kästchen „Geri ist nicht mehr tragbar, raus aus allen Ämtern mit ihm!“ anklicken und dabei mittlerweile beinahe 75% auf sich vereinen. Die restlichen 25% teilen sich die „Mir egal“ Ankreuzer und die Müller-Sympathisanten. Und weshalb soll diese Mehrheit jetzt nicht richtig liegen? Ganz einfach: Weil sie damit nicht mehr und nicht weniger als das Denunziantentum billigt, es geradezu legitimiert. Oder nochmals vereinfacht ausgedrückt: Es darf nicht immer und jederzeit möglich sein, das Fehlverhalten einer Person (ob es dieses nun tatsächlich gab oder nicht) publik zu machen. Radikal, schonungs- und kompromisslos. Ob es sich dabei um eine strafrechtlich relevante Tat handelt: Nebensache. Weil einem die politische Gesinnung des Betroffenen nicht gefällt, sein Gesicht oder einfach seine etwas schluderige Art, weil er sich neben der Norm bewegt.

Geri Müller tut gut daran, jetzt nicht aufzugeben. Was ihm von einer Mehrheit als Trotz ausgelegt wird, ist nichts anderes als Rückgrat. Der Mut, sich der Brandung auszusetzen und nicht einzuknicken. (Politische) Gegner besiegt man in der fairen Auseinandersetzung und nicht mit Hinterlist. Bleibt zu hoffen, dass Herr Müller durchhält. Sollte er sich früher oder später dennoch für die Niederlegung des einen oder anderen politischen Amtes entscheiden, dann dürfte dies nicht als Kniefall gewertet werden, sondern als Schutzmassnahme. Den Schutz des seelischen und körperlichen Wohlbefindens, welches derzeit über alle Masse strapaziert wird.

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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Weshalb die Lektüre der Sonntagspresse vom 7. September schampar wichtig war.

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