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Es herbstet

Es herbstet, meine Lieben, aber nicht nur draussen, sondern auch bei mir. Gestern unterhielt ich mich schriftlich mit einem Liker, der aus derselben Region kommt wie ich – und da kommt man natürlich auf eventuelle gemeinsame Lehrer zu sprechen. Es folgte „Ich kenne leider keine Lehrer aus deiner Zeit“. Aus DEINER Zeit. Zagg, mitten in die Fresse. Aber er hat Recht: Die Matur machte ich vor 12 Jahren, damals war ich 20. Als ich kürzlich mit einem Gspähnli aus Spielgruppen-Tagen durch Schottland düste, fanden wir heraus, dass wir uns fast 30 Jahre kennen. 30. DRÄISSIG! Eine Zahl, die sonst eigentlich nur die Eltern in den Mund nehmen, wenn sie von Ruedi oder Werni erzählen, mit dem sie damals mit dem VW Bus nach Afghanistan gefahren sind.

Genauso eine Realitätskeule in die Visage ist es, wenn man im H&M gesiezt wird. Ich versuche immer wieder, die Verkäuferinnen zum Du zu zwingen, indem ich mich hinstelle und mit viel zu hoher, süsslicher Stimme „Ho-ooooi“ sage. Aber nein. Es folgt das obligate „Grüezi“ und im Anschluss ein sehr anständiges „Adiä“. Kürzlich war ich am Samstag sogar in meinem türkis Regenbogen-Sternli-Shirt unterwegs und beim Türken an der Ecke sagte der Verkäufer Grüezi zu mir. Langstrasse. Türkenlädeli. Regenbogenshirt. GRÜEZI. Ich persönlich bin der Meinung, dass ich in diesem Shirt aussehe wie 12. Gerade deshalb war das ein sehr trauriger Moment für mich und das kleine, sommerbesprosste Meitli in meinem Kopf weinte sehr bitterlich.

Nebst diesen objektiven Tatsachen macht sich mein fortschreitendes Alter aber auch in meinem Verhalten bemerkbar. Der Ausgang besteht heute aus gutem Essen, ein paar Drinks, wenn’s hoch kommt ein bisschen Tanzen und dann aus gaaaaaanz viel Schlaf (mit Schlafmaske und Ohropax). Clubs meide ich vehement, weil ich erstens mittlerweile gerne mit den Menschen, die mich begleiten, reden und sie auch verstehen möchte und weil zweitens ein eventueller Kater heute in etwa zwei – sehr elende – Tage dauert, mich aussehen lässt wie 60 und meinen Schädel in ein kleineres Kriegsgebiet verwandelt.

Ich reise auch nicht mehr mit dem Rucksack und penne bei irgendwelchen Leuten, die ich gerade kennengelernt habe, auf dem Boden. Stattdessen müssen es schon 4 Sterne sein – inkl. Mahi-Mahi auf einem Bett aus karibischem Seeigelwurzelgemüse und einem Schaum aus Kaviar-Trüffel-Einhorn-Milch. Früher: Fischstäbli mit Ketchup. Easystyle.

Mein Make-Up kaufe ich mittlerweile bei Clarins und verzichte damit auf Billig-Make-Up, das womöglich an Hobbitbabys getestet wurde. Kurzer Exkurs: Kürzlich war ich mal wieder bei Frau Clarins in der Beratung und diese schaute mich an und sagte: „Erstuunlich, Sie sind liicheblass, chönd aber trotzdem Sänfgääl träge. Das chönd suscht nur Lüt, wo wenigstes es bitzli bruun chön werde.“ DINI MUETER CHAN BRUUN WERDE! Memo to me: Zu Lancôme wechseln. Frau Clarins darüber informieren. Hämisch lachen.

So haben sich denn in den letzten Jahren viele Dinge in meinem Leben verändert – ganz langsam und leise, ohne dass ich es wirklich wahrgenommen hätte. Noch bin ich von grauen Haaren und Falten (naja, weitestgehend, aber Lachfalten sind ja charmant, nöd wahr) verschont. Noch trinke ich lieber Migros Ice Tea als Earl Grey. Noch diskutiere ich mit meinen Freunden lieber über die Konsistenz von Elefantenkacke als über die 3. Säule. Das wird sich irgendwann alles noch ändern, aber auch wenn dem so ist, wird da immer dieses kleine, sommerbesprosste Mädchen in meinem Kopf sein, das lustig giggelnd Gummitwist macht.

In diesem Sinne: auf das Alter!

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Autor: Yonni Meyer

Yonni Meyer (*1982) wuchs dort auf, wo’s mehr Kühe als Menschen gibt. Und das war gut so. Kantonsschule in der Nordschweizer Provinz (Hopp Schafuuse). Studium im Welschland (Sprachen und Psychologie). Umzug an die Zürcher Langstrasse 2011. Seither konstant kulturgeschockt. Ende Juli 2013 Geburt des Facebook-Blogs „Pony M.“
September 2013 Einstieg bei KULT. Ab 2014 Aufbruch in die freelancerische Text-Landschaft der Schweiz. Meyer mag Blues. Meyer mag Kalifornien. Meyer mag Igel. Meyer mag Menschen. Manchmal.

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