An der Zürcher Langstrasse gibt es bald nur noch einen Kriminellen: Den Fahrradfahrer, der auf der Busspur in die verkehrte Richtung fährt. Das war nicht immer so, daran erinnern sich auch noch die Jüngeren unter uns.
Zürich verlor seine Unschuld am 14. April 1967. Der Tag, an dem die Rolling Stones zum ersten Mal im Hallenstadion spielten und ihre Fans tausende von Klappstühlen, einen Teil der Bühne und auch rund um das Konzertlokal alles kurz und klein schlugen. So gross war ihrer Euphorie darüber, dass ihre Idole endlich da waren – diese flüchteten allerdings nach ihrem 30-minütigen Gig zur eigenen Sicherheit. Beim sogenannten Monsterkonzert ein Jahr später war das Polizeiaufgebot dann grösser, und die Fans rund um die Band von Jimi Hendrix konnten mehr oder weniger im Zaum gehalten werden. Nicht aufzuhalten war aber die Beat Musik, die dank Veranstalter Hans-Ruedi «Beatpapst» Jaggi in der Limmatstadt Einzug hielt. Da half auch keine Forderung nach einem Verbot solcher Happenings. In der heutigen Longstreet Bar nistete sich der erste Beat Club ein, welcher der Langstrasse einen verruchten Ruf einbrachte, den sie bis heute nicht mehr ablegen konnte. Eltern verboten ihren Schützlingen, sich an diesem Sündenpfuhl aufzuhalten – vergeblich.
In den 70er Jahren waren es dann Prostituierte und dubiose Zeitgenossen, die sich im Milieu breit machten. Es entstand nach und nach eine Stadt in der Stadt, welche sich selber kontrollierte und nur sporadisch durch Polizeieinsätze gestört wurde: das Rotlichtviertel, wie es aus kaum einer Weltstadt wegzudenken ist. Das galt auch für den florierenden Drogenhandel, der sich rasant ausbreitete. Es waren mit den Hells Angels, der Türken- und der Kurdenmafia unterschiedliche Gruppierungen, die ihre Reviere verteidigten und für ihr Verständnis von Ruhe und Ordnung unter Junkies, Alkoholikern, Freiern und anderen Tag- und Nachtvögeln sorgten.
In den 90er Jahren begann das Langstrassenquartier dann plötzlich hip zu werden. Wie im Seefeld und rund ums Bellevue, wo sich einst zwielichtige und kriminelle Gestalten rumtrieben, sollte ein Trendquartier entstehen. Ein Trend-WOHN-Quartier. Mit Interessensgemeinschaften, die dafür sorgen wollen, dass Nutten und Zuhälter, Junkies und ihre Dealer verschwinden und ihnen für attraktiven Wohnraum Platz machen. Womit sie nicht rechneten war, dass sich in den ehemaligen Cabarets Bars und Clubs einmieteten, was verständlicherweise weiterhin nicht eben eine gute Voraussetzung für eine friedliche Nachtruhe ist.
Es ist selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden, an der Langstrasse oder in einer der zahlreichen Nebenstrassen wohnen zu wollen. Und es ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich gegen übermässigen Krach und Uringestank wehrt und sich dafür einsetzt, dass nicht weiterhin Gewalt die Gewalt kontrolliert. Was nun aber dem Fass den Boden ausschlägt ist eine Gruppierung von 115 Anwohnerinnen und Anwohnern, die unter dem Titel «Partybetrieb ist eine stadtzerstörende Sauerei» (s. Artikel 20 Minuten) beim Stadtrat eine Petition einreicht und mehr Nachtruhe zu Ungunsten der Clubs und ihren Nachtschwärmer fordert. SO NICHT! sind wir der Meinung. Es reicht, dass aus dem Niederdorf ein kleines Ballenberg Museum geschaffen wurde, und dass das Seefeld heute ein Wohnquartier für Gutverdienende ist. Die Langstrasse war Zürichs Kultur- und Ausgangsmeile und soll das auch in Zukunft bleiben!
Jetzt die KULT Online Petition unterschreiben: «Die Langstrasse ist und bleibt Zürichs Kultur- und Ausgangsmeile!» und damit Solidarität bekunden.
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