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Liebe in der Nacht

Sicher, man kann nicht unbedingt davon ausgehen, dass in einem Fischerdorf einer versteht, warum jemand unbedingt ein Schiff braucht. Offenbar, aber das verstand ich gar nicht richtig, seien die Zeiten hart, irgendetwas von zu wenig Fischen, zu viel Plastik im Meer und teuren Spritkosten es sei einfach «merda». Aber letztlich war mein italienisch auch an der albanischen Rivieria nicht viel besser als «Merda», drum verstand ich den ganzen Wortschwall nicht. Wahrscheinlich sagte ich auf englisch, auf französisch und irgendwie auch italienisch immer wieder, ich müsse hinaus aufs Meer, ich sagte oder wollte unbedingt sagen, ich brauche ein Schiff, weil sie auf einem Schiff sei.

Ein leuchtender Punkt auf dem Meer war sie. Auf einer Jacht, die im Meer schaukelte. Vor einigen Stunden nur hatte ich sie in Himara getroffen, einem Ort, den man hier überraschenderweise als Stadt ansah, der aber eben mehr ein Ort war: Weder Dorf noch Stadt. Das Leben in Himara war günstig, das Meer noch leuchtend blau und ich war hierhergekommen, um Dinge abzuschliessen, Dinge zu beenden. Von ihr wusste ich wenig, ausser vielleicht, dass da draussen auf dem Meer eine Jacht schaukelte, deren Motor gewartet werden musste. Die Probleme, die ich gerade kennenlernte, um da hinauszukommen, kannte sie offenbar nicht.

Der Fischer oder der Chef der Fischer sah mich resigniert an. Er hatte am Abend besseres zu tun, als sich mit einem Spinner auseinanderzusetzen, der raus aufs Meer wollte. Mittlerweile hatten wir versucht, griechisch zu sprechen, was noch schlechter ging als italienisch. Er sprach es perfekt, aber ich hatte keine Chance. Irgendetwas wie: «Agapi?», meinte er und grinste anzüglich und «Agapi mou», wäre wohl noch schlimmer. «Mann», fluchte ich in sein ledergegerbtes Gesicht: «Ich brauche ein Boot, ich will da raus, ich muss da raus.»

In einer anderen Zeit hätte wohl noch jeder Idiot rudern können. Mir fiel es schwerer, als ich dachte. Die Wellen machten mir nach wenigen Metern zu schaffen, ich verstand die Bedenken des Fischers plötzlich besser und ich war immer noch in Ufernähe.

Dennoch schien ich von übermenschlichen Kräften beseelt zu sein. Nur selten sah ich zurück, ans sichere Ufer von Himara, dessen Strand still, friedlich und verlassen hinter mir lag, während sich die Touristen entweder zum Abendessen umzogen oder sich noch einen Drink genehmigten. Nach und nach verwandelten sich die Lichter in den Häusern in eine glänzende Lichterkette, je weiter ich mich entfernte. Unterdessen fühlte sich die Tiefe unter mir weit unendlicher an und der Horizont noch weiter weg. Das Licht, auf das ich mit monotonen Ruderschlägen zu ruderte, kam kaum näher. Ganz der unerfahrene Ruderer schien mir aber das Halten eines eintönigen Rhythmus als unabdingbar, wollte man erfolgreich rudern. Die Anstrengung liess die Begegnung am Nachmittag abstrakt werden, die Momente zerfielen zu Fragmenten, die von meinem keuchenden Atem, der sich immer mehr wie Kotzen anfühlte, auch noch übertüncht wurden.

Und doch. Und doch, sagte ich mir, nach all den Jahren war ich bereit. Nach all den Jahren musste ich doch endlich alles auf eine Karte setzen. Die Strömung trieb mich etwas vom Licht weg auf das ich doch auf direkter Linie zuruderte. Ich hatte Lust auf eine Zigarette. Es musste doch so sein, dass alle grossen Kapitäne rauchten, aber ich hatte Mühe zu Atem zu kommen. Vor meiner Abreise hatte ich Mühe gehabt, zu sagen, dass nicht alles dein Fehler gewesen war. Für jeden anderen wärst du wohl die Frau seiner Träume gewesen, gestand ich mir nach drei Tagen im schönen, aber langweiligen Himara ein. Selbst das Internet war im malerischen Dorf wackelig. Wahrscheinlich würden die Roamingkosten den günstigen Hotelpreis mehr als wettmachen. Aber nachdenken, nachdenken und das Meer anschauen konnte man hier fast wie nirgendwo sonst. Wenig Ablenkung, gemütlicher Rhythmus.

Und am Ende, aber was wusste ich schon? Was interessierte mich die Vergangenheit, es galt auf die Zukunft hin zu rudern. Dort war das Licht am Horizont. Ich zwang mich schaukelnd, oder inzwischen eher hin- und hergeworfen von den Wellten in meinem Nachen sitzend, nach vorne zu schauen.

Im Café am Nachmittag hatte sie gesagt und ihren grünlichen Augen lag jene Unschuld, die so verdorben war, so dass sie nicht beschreibbar ist: «Es gibt Dinge, die man nicht sagen kann, und darum hat es gar keinen Sinn, wenn du sie mir zu erklären versuchst.» Sie erklärte mir, ihre Haare seien voller Salz und wenn es ruhig sei, könne sie besonders gut riechen. «Du riechst gut, aber man riecht auch, dass dich deine Frau verlassen hat oder vielleicht hast auch du sie verlassen. Aber du weißt es auch, wenn man erst einmal ein Haus abgefackelt hat, lohnt es sich nicht zurückzuschauen.» Im Red Rock Indian Café gab sie ihren Drink drei Mal zurück, während ich dachte, die Sonne verfängt sich schön im Haar einer Verrückten. Aber darum war ich ja da. Um die Dinge ins Reine zu bringen.

«Ich habe mein Haus angezündet, es war scheisse! Jetzt habe ich ein Schiff, da bin ich viel ungebundener, das würde dir vielleicht gefallen», sagte die Verrückte. Während mein Boot wie verrückt schaukelte und ich immer noch zu wenig Kraft hatte, um es vorwärts zu bewegen, dachte ich daran, was du sagtest: «Kompletter Wahnsinn. Mein Management Summary war fertig, das alles stand auf einem perfekten Fundament, aber sie haben es sogar fertiggebracht, den Businessplan zu ignorieren.» Und dann deine Schuhe. Es waren immer hübsche und sehr teure Schuhe. Aber du sagtest jeden Abend: «Nachdem ich Bruno Magli erschossen habe, kommen die Typen bei Prada dran.»

Folgerichtig flogen wir an manchen Wochenenden nach Paris, London oder Rom, um genau solche Schuhe zu kaufen.

In Himara wollte ich fragen, wie eine so junge Frau zu einer Jacht komme, mit der sie auf den Meeren umhertreibe und was sie ausgerechnet hierher getrieben haben könnte. Natürlich ist das der Vorteil von Verrückten, sie sind verrückt: «Hör’ mal, das hier ist nicht das Ende der Welt, oder? Hier ist es schön. Aber ich wollte einfach nicht mehr da sein, wo alle dachten, da würde ich hingehen? Darum bin ich hier. Niemand kann immer dort sein, wo er sein will.»

Waren wir je dort gewesen, wo wir hatten sein wollen? Aber du hattest darauf immer eine Antwort: «Auf den Papieren können wir nicht mehr ««long»» gehen, dass macht nicht einmal mehr Soros. Wir gehen ««short»», obwohl der Typ hatte immer recht.»

«Ich wollte doch nur fragen, ob wir gut sind, ob wir ok sind, wenn wir so weitermachen.»

«Das ist das naiv, mein Lieber, das ist doch immer in Bewegung. Heute bist du eine Goldmine und morgen läuft der Markt gegen dich.»

«Was habe ich jetzt mit dem Markt zu tun, ich verstehe den Scheiss nicht einmal …»

«Um mich etwas ranzunehmen, musst du doch den Markt nicht verstehen, was hast du eine Ahnung, also wirklich …»

Tatsächlich, so schlecht war das nicht gelaufen. Inzwischen war ich zwar in meinem Nachen zu Atem gekommen. Instinktiv tastete ich nach den Zigaretten. Die Lichter der Jacht waren aber weiter weg als zuvor. Sehr wahrscheinlich musste ich bald wieder zu den Rudern greifen. Mich schauderte. Sie waren klein geworden, die Lichter. Diejenigen des Ufers schimmerten nur schwach. Mein I-Phone hatte auf hoher See bestenfalls eine schwache Verbindung.

«Agapi», dachte ich, keine Ahnung, was «Agapi» bedeute. Die Verrückte hatte toll ausgesehen. Die Sonne hatte mit ihrem Haar gespielt. In der Hitze der Riviera hatte ich nicht viel Fantasie gebraucht. «Ich bin verrückt, verstehst, ich bin so verrückt, dass man mich einfach lieben kann. Aber damit weiss ich auch nicht, was ich damit meine. Aber ich habe es in dem Moment aufgegeben mich zu verstehen, als ich das Benzin im Keller ausgeschüttet habe», sagte sie und schob den Träger ihres T-Shirts wieder hoch und bedauerte: «Dabei ist es wirklich ein schönes Haus gewesen.»

In diesem Moment hatte ich das bewundert. Im Moment blieb mir nicht viel. Ich musste rudern. Du und ich, wir hatten ein Haus gekauft. Ein schönes Haus. Dort gewohnt hatten wir nie. Zu unbequem, zu weit ausserhalb der Stadt. Wir waren immer geblieben, wo wir gewesen waren. Nicht dein Fehler. Seltsamerweise machte mich das Rudern scharf. Plötzlich wurde es eng, unerträglich eng, so wie es kurz vor einer Explosion sein musste in einem brennenden Haus. Und obwohl es nicht nur unverzeihlich, sondern auch tödlich war, küsste ich das lodernde Haar der Verrückten. Ich lag zu deinen Füssen, die diese Schuhe ruiniert hatten und kam fast, wegen der Blasen und Schürfungen. Schwarz und dunkel schimmerte dein Haar im Vollmond, den du nicht sahst, weil am anderen Ende der Welt, der Markt eben öffnete und du das auf deinem I-Phone checken musstest, hell und leicht wehte mir das Haar der Verrückten entgegen und ich wusste, dass ich dem Fischer hätte besser zuhören sollen, weil ich den Wellen ausgeliefert, das Licht nie würde erreichen können.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

Anfang und Ende mit Half Past Dead

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