in

Der Deal mit Gott

Er hatte das Baseball-Cap, sie die gefärbten roten Haare. Aber dann ging der Deal schief. Mein Handel mit Gott. Ich hatte gedacht, es könnte so toll sein. Wenn wir nur einen Moment die Plätze tauschen könnten.

Du und ich. Wenn du ich wärst und ich du. Ich dachte, dann würdest du wissen, wie tief unter die Haut dein Geschoss manchmal geht, ich meinte, ich würde gerne wie du über Hampstead Heath rennen, viel zu früh am Morgen. Würde gerne selbst erleben können, warum du am Morgen vor dem Spiegel deinen Namen mit tiefer Stimme murmelst, wenn du die Krawatte bindest. Aber ich verstand nichts und rannte nur viel zu langsam hinter dir her, während der Rest von London einfach ungerührt weiterpennte. Eine Sache, von der ich glaubte, London hätte einfach recht. Aber da joggten wir, und egal wie sehr ich keuchend fluchte, es war dir egal. Die Ketten waren nicht gesprengt.

Festgefrorenen Fratze

Aber die Frau mit den roten Haaren, sie war plötzlich zu ihm geworden, allerdings fand sie das Baseball-Cap auf dem Kopf blöd, den Hoodie, der ging ihr ebenfalls zu sehr in die Richtung rosa. Wenn wir nur einmal die Plätze hätten tauschen können. Konnten wir aber nicht, und als du zu spät zur Vernissage in die Galerie kamst, naja, dann war das irgendwie OK, nach einem Tag bei Lloyd’s of London, hat man sich den Pint im Australian Pub in der City ehrlich verdient, auch wenn er lächerlich teuer ist. Bist du endlich kamst, war mein Lächeln zu einer festgefrorenen Fratze geworden, «Modern Art, Modern Art», lächelte und hauchte ich, über einem zerbrechlichen Champagner Kelch und an dir zog jene Müdigkeit, die nur ein Tag im gestärkten Hemd und Krawatte verursachen kann.

«Wäre es nicht toll, wenn wir für einen Moment die Plätze tauschen könnten?», wollte ich wissen, nachdem du wieder einmal meine Chefin vor mir begrüsst hattest. «Du weißt, dass ich gerade mit Gertrude geredet habe, Süsse? Damit bin ich verwirrt genug.»

Sicherer Killerinstinkt 

In diesen Dingen warst du immer schon tödlich. Zwar gab es keinen Grund – ausser Arschkriecherei – Gertrude vor deiner Freundin zu begrüssen, aber mit einem sicheren Killerinstinkt konntest du den Kelch anschliessend einfach weiterreichen. Aber hallo, ich hatte ja auch geübt: «Wäre es nicht fantastisch, du wüsstest, wie ich fühle. Auch wenn wir das Versaute machen, es würde dir Selbstsicherheit geben.»

«Du möchtest, dass ich schwule Erfahrungen sammle …»

«Nein, nein, ich möchte, dass du ich bist und ich du; ist doch nicht so schwierig zu verstehen…»

«Gib’s auf Schätzchen», fuhr mir Getrude in die Parade: «Die Typen wollen dich aussaugen und dann wegwerfen, die wollen nichts weiter.» Sie sah sogar wütend dabei aus: «Die Kerle werden dich nie verstehen, vergiss es, Ari!»

Dass du mich aussaugen würdest

Urgh, dachte ich und hatte einen kurzen Moment Mitleid, weil du dir das anhören musstest und es vielleicht sogar glaubtest. Irgendwie hattest du nicht rausgefunden, dass ein kleiner Blowjob ab und zu auch für Frauen eine gute Sache ist. Gegen dich sprach natürlich in Getrudes Augen, halt auch in diesem Moment: dass du mich aussaugen würdest. C Natürlich waren wir mit Gertrude gestrandet. Sie blieb einfach bei uns stehen. Mein aufgesetztes Lächeln fing langsam an zu schmerzen.

«Die Frauen», sagte sie. «Die Frauen», sagtest du. «Champagner», sagte ich und sah mich um.

«Ramon», sagte ich.

«Arundhaya säuft wieder und darum kommt sie am Morgen beim Joggen den Hügel nicht hoch», dachtest du, während ich schwachsinnig vor mich hinlächelte und dachte: «Warum versteht er mich einfach nicht?»

Getrude sah wütend von dir zu mir und in Gedanken fluchte: «Sie hat nicht einmal bei der Arbeit Ruhe», dachte Gertrude, obwohl sie genau wusste, ich hatte mich gefreut, dass du kommst.

Beliebt bei der Arbeit

Der Handel mit Gott. Er ging schief: Der Typ mit dem Baseball-Cap war von einem Moment zum anderen beliebt bei der Arbeit. In seinem Kurierdienst bekam er tatsächlich einmal mehr gebacken, als nur nachdenklich und ratlos über seinen Hipster-Bart zu streichen. Plötzlich war sein Wesen gewinnend und die Pakete wurden an den richtigen Ort ausgeliefert. Für Laura mit den roten Haaren lief es leider nicht so gut. Nicht einmal der Haarschnitt für den Dreijährigen war zu gebrauchen.

Xavier war zu sehr damit beschäftig darüber nachzudenken, dass er jetzt Titten hatte, und was es für seine Masturbationstechniken bedeuten konnte. Ebenso glaubte er, als Frau sei er endlich sexuell völlig unersättlich. Er brauchte allerdings noch einen Dreh, um herauszufinden, wie er das denn jetzt anstellen sollte.

Er fühlte sich nackt

In der Mittagspause ging es mit der Fresserei auch nicht recht. Er frass, aber sein Körper wollte nicht. Ununterbrochen wollten ihn die Leute umarmen, mit ihm reden und er hatte keinerlei Baseball-Cap, das er im Notfall vielsagend befingern konnte. Kurz, er fühlte sich nackt, er nahm Dinge wahr, hörte Worte und er hatte zwar einen schnittigen Hintern, aber war sich bald nicht mehr sicher, ob es das wirklich wert war. Im Hair-Designer-Salon kümmerte man sich um ihn. Um seine Gefühle.

«Wie geht es dir Laura, soll ich deinen Kunden übernehmen, mache ich gerne für dich.» Er war sich gewohnt, arrogant und unfähig zu sein. Er suchte die Antwort in seinem Bart. Während sein Hirn sagte: «Unersättlichkeit, Unersättlichkeit.» Gott sei Dank ging man nach der Schicht im Salon zur Happy Hour. Auch das war etwas weniger gut. Er vertrug nichts mehr. Er fühlte sich schon schummrig nach den ersten Gläsern. Weiter jetzt, weiter, peitschte er sich nach vorne.

«Arundhaya, ich muss schon mal gehen, ist das OK?»

Keine schnelle Nummer für Ramon heute Nacht, denn ich würde noch in der Galerie die Gläser einsammeln und etwas aufräumen müssen. Sowieso, er war wirklich müde. «Wie war’s denn?», fragte ich dich. Und ich wusste, ich spürte einen Moment, was richtig war. Du bist so fertig, du riechst nach einer Mischung aus After Shave und dir und deine Umarmung ist ganz sanft.

«Yoy esperando por ti»

Sie sagt, wir probieren, was wir können. Du willst nur noch OK sein. Es ist gut so. Einen Moment lang versteh’ ich’s und das verdammte Gerenne ist mir egal.

Auch Getrude: «Sie ist eine indische Prinzessin, du spanischer Trottel, du musst dir Mühe geben.» Damit haben wir aber keine Mühe, ich sage: «Wir können nicht alle aus Österreich kommen, und wenn ich wirklich eine indische Prinzessin wäre, könnte ich nicht einmal den spanischen Trottel selbst aussuchen.»

Und du, du nimmst die alte Dame einfach in den Arm und flüsterst auf spanisch: «Yoy esperando por ti», während die indische Prinzessin keinen einzigen Satz auf Hindi auf Lager hat. Gertrude ist das zu viel, und sie nimmt mich am Unterarm und meint, wir sollten auf die gelungene Ausstellung noch etwas trinken. Zwar haben wir die Plätze nicht getauscht, aber ich werde dich ein bisschen vermissen. Als ich das nächste Glas ansetze, glaube ich ein bisschen an Gott.

Dreckig zwischen den Beinen

Nach der ersten Nummer auf der Toilette macht es ihm einfach weh. Die Unersättlichkeit ist nicht das, was er geglaubt hatte. Xavier fühlt sich dreckig zwischen den Beinen und die schnelle Nummer hat es wirklich nicht gebracht. Er muss es nochmals versuchen, denkt er. Aber scheisse, es brennt zwischen den Beinen. Er denkt, er braucht einen «richtigen Schwanz», nicht wahr. Er fortifiziert sich mit einem Getränk. Er kennt sie doch, die Unersättlichkeit der Frauen. Er weiss es doch.

Lauren starrt ungläubig auf den Laptop. Sie hat die Wohnung aufgeräumt und alle alten Pizzaschachteln weggeräumt. Die Sammlung der Baseball-Caps gibt ihr auch nicht viel. Sie wünscht nun, sie hätte richtig geputzt, aber ihr war langweilig und die Arbeitskollegen sahen sie als Idiot an. Ihr Wunsch, da noch weiter mitzumachen, hielt sich in Grenzen. Sie war keine Frau, die Sex eng sah, weiss Gott nicht. Ein ordentlicher Fick war ein ordentlicher Fick, das brauchte man nicht zu erklären.

Eine Macke und einen Bart

Aber die Scheisse hier auf diesem Laptop. Der Typ, der sie gerade war, der hatte eine Macke und einen Bart, das machte ihr Mühe. Auf dem Internet verlangte er dann auch noch Dinge, ohne etwas geben zu wollen. Schliesslich ging sie an eine Ausstellung. Die meisten Leute waren schon gegangen, aber die wahnsinnige Österreicherin sagte, sie habe den Schlüssel. Nach zwei Drinks merkte Laura, sie konnte viel mehr trinken als sonst. Da Gertrude nicht mehr besonders wach erschien, fing sie an, ihr die Geschichte zu erzählen: «Weißt Du, da war dieser Kerl, er heisst Xavier, ich fand ihm cool, ich habe ihm die Haare geschnitten und vielleicht wäre ich auch mit ihm ins Bett gegangen. Er hatte diese Baseball-Caps, ich fand ihn orignell.»

«Liebchen, viele Leute sind Gay, das ist doch schön», murmelte Gertrude, die den Schlüssel hatte.

«Das ist das Verrückte, wir haben die Plätze getauscht, jetzt bin ich er und er ist ein Arschloch.»

«Sie sind alle Arschlöcher, frag Arundhaya, sie ist eine indische Prinzessin und sie hat keine Ahnung. Indien.»

Eine Sache mit einer Bowling-Figur

Zwei Tage später rannte Ramon alleine über den Hampstead Heath. Lauren hatte ein schlimmes Ziehen zwischen den Beinen. Xavier dagegen hatte es voll erwischt. Gott liess ihn den Preis zahlen. Er sah Getrude vor sich, die ihn ritt wie einen Hengst, Getrude die ihn in seinem seltsamen Dialekt anfeuerte. Und dann war da noch eine Sache mit einer Bowling-Figur. Arundhaya dagegen entschied sich, eine indische Prinzessin zu sein, nie mehr im Morgengrauen zu rennen und gleichzeitig nie mehr einen Handel mit Gott einzugehen. Gerne gewusst hätte sie es trotzdem. Aber sie war sich nicht mehr sicher, dass sie ohne jedes Geheimnis leben wollte.

Gefällt dir dieser Beitrag?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

Foo Foo, König von Thailand? (Der Wochenrückblick 41/2016)

Die Leere danach