Du hast ihn von Anfang an gemocht. Irgendetwas an ihm hat dich gerührt. Irgendeine Frequenz in dir hat er zum Schwingen gebracht. Es war keine Liebe, kein sexuelles Verlangen. Aber du hast ihn interessant gefunden. Vielleicht weil er so traurig war – und trotzdem manchmal unglaublich lustig.
Er war jedenfalls geheimnisvoll. Er hat dich nie angemacht, wie es die meisten Männer früher oder später tun. Beim Mittagessen mit ihm hast du dich wohl gefühlt. Kinobesuche, Vernissagen, Kunsteisbahn, alles gestaltete sich in seiner Begleitung recht angenehm.
Obwohl – oder vielleicht gerade weil – da immer jener Hauch von Melancholie dabei war.
Zur Begrüssung und zum Abschied habt ihr euch umarmt. Freundlich. Er hat dir nie Komplimente gemacht, bezüglich deines Körpers. Von dem du weisst, dass er den meisten Männern gefällt.
Er aber war diesbezüglich ein Neutrum, ein ausserordentlich angenehmes Neutrum.
Doch dann ist er immer trauriger geworden. Hat sich immer mehr zurückgezogen. Am Telefon hast du bemerkt, dass etwas mit dem Mann nicht stimmt.
Er könne niemanden sehen, hat er gesagt. Er hat dir Leid getan. Du hast dir Sorgen um ihn gemacht. Deshalb hast du ihn eines Abends spontan in seiner kleinen Altstadtwohnung aufgesucht.
Er war über dein Erscheinen nicht besonders begeistert. Seine Augen waren wie schwarze Löcher im kalten Weltraum. Ihr habt geredet.
Dann plötzlich, aus einem wilden Impuls heraus, hast du ihn umarmt. Du hast dich in der Küche vor ihm ausgezogen. Schön langsam. Hast dich nackt auf seinen Schoss gesetzt.
Damit hat eine lange Nacht angehoben. Bis zum Morgengrauen habt ihr es getrieben.
Du hast dabei ganz schön dreckige Sachen gemacht, um die er dich gebeten hat, die du eigentlich erst mit jenem Einen ausprobieren wolltest, deinem Mann fürs Leben, den du eines Tages finden würdest. Einiges davon hat ein bisschen geschmerzt.
Aber das hat dich nicht gestört. Du hast nicht geahnt, dass du derart unterwürfig sein kannst, dies sogar mit Genuss.
Am Morgen hast du dich gefreut. Ganz offensichtlich war es dir gelungen, die Lebensgeister eines lieben Menschen wieder zu erwecken.
Er war in der Küche, stand an der Kaffeemaschine. Als du die Küche betreten hast, drehte er sich um. Kalte, böse Augen. Du hast diesen Blick nie zuvor gesehen.
Mit Hohn in der Stimme sagte er: „Hallo Schlampe, zieh Deine Klamotten an und hau ab. Es ist schon lustig, wie die Weiber reihenweise auf meine Masche reinfallen.“
Sein wüstes Gelächter, das auf diese beiden Sätze folgte, verfolgt dich noch heute.