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U SUK!

Die Explosion knallt nahe, doch noch lauter knattert der Stoff der roten Flagge im Wind. Gefahr meint dieses Signal, aber der Soldat, der über das Einhalten dieses Verbotes wachen sollte, sitzt einen halben Kilometer vor dem Übungsplatz auf der Erde und starrt auf den Bildschirm seines Handys. Jung ist er und zugleich ziemlich angeschissen – schliesslich ist er hier und wird durch den in Malta typischen Morgenniesel ziemlich nass. Behelfsmässig einen Unterstand hat er sich mit Hilfe einer Blache gebastelt, die über zwei Handläufe eines Geländers gelegt ist und schon über dem Kopf durchhängt. Erst „Martin Luther King Road“, später dann Unnamed Road. So heisst die Strasse und kein Mensch sonst weit und breit. Militärfahrzeuge versperren unten am Meer die Zufahrt  – hinter ihnen finden die Detonationen statt.  Mich interessiert nicht, was hier die Armee von Malta treibt. Mich interessiert nur der „White Rock Complex“. Der Weg dahin krümmt sich wie vor Schmerz und da bin ich: Ruinen soweit das Auge reicht.

Mit den Turnschuhen nicht auf die Hundescheisse stehen, die hier überall herumliegt. Dazwischen finden sich mal leere Gewehrhülsen, Steine und Pionierpflanzen. Schon verlassen habe ich den schmalen Fussweg, um zum Ghost Resort Complex zu kommen. Leerstehende Hotels sind es, mindestens dreistöckig: sechs, sieben, zehn oder elf.  Nein, es sind mehr, wenn man die Bungalows  unten dazu zählt. Die verlassene Badeanstalt kommt zuletzt. Nicht unbemerkt geblieben ist der Ort. Graffitikünstler/Innen aus aller Welt waren hier, und das Resort ist nun eine Ausstellung. MoMA Malta sage ich mir und komme voran. Noch dran ist die Rückenmauer bei den Häusern – die Vorderfront fiel vor langer Zeit weg, und die Stöcke liegen wie bei einem Setzkasten offen da. „Stehe nicht auf einen Blindgänger oder etwas Ähnliches“ sage ich zu mir selbst – halblaut, „das ist sicher auch ein Trainingsgelände der Vierfrüchtler. Aus diesem Grund stehen die Ruinen wohl noch da.“ Wie sieht eine nicht hochgegangene Bombe aus? Aber wenn man sich im Leben immer von allen Dingen abhalten lässt, wird man nie etwas erleben. Auf die Seitenfront aufgepinselt oder gesprüht sind erst Bilder – grossflächig und schon von weitem sichtbar.

Einer Mauer entlang gehe ich zum ersten Wohnhaus. „Welcome“ hat jemand  auf die Fliesen gesprüht, die am Eingang noch erhalten sind. Gleich daneben geht eine Treppe hoch, mit nur rohem Zickzack. Fraglich, ob dieser Stein noch eine Person tragen würde, bei den Rissen im Beton. Hoch gehe ich, erst einen Schuh vor den anderen stellend – immer eine Stufe höher. Es fehlen Fenster, nur noch Glaszacken schauen aus den Rahmen heraus, oder es finden sich noch die Türangeln. Bauschutt ist auf dem Boden verteilt, dazu kommen Spraydosen, Partymüll oder gebrauchte Kondome. Ich versuche mich auf die Wände zu konzentrieren, denn hier ist Kunst. Doch auch mal nach unten zu sehen, um nicht zu fallen! Die Räume sind nicht sehr gross und es gibt viele Nischen. Nur nicht auf die Balkone heraustreten, obwohl das Meer von hier schön zu sehen ist, und die Regenstimmung allmählich von der Sonne vertrieben wird. Die Natur beginnt sich den White Rock zurückzuerobern, überall wuchern Pflanzen und Gras. Doch nicht zuviel versprochen, die Graffitis sind 1 A. Egal ob Donald Trump, Hellraiser oder Popeye – vieles findet sich hier. Sogar die schweizweit bekannte 031 hat hier ihren Platz markiert. In einem  Bau ist eine scary world mit vielen unheimlichen Sprühbildern rund um das Böse und in einem anderen Trakt Graffitis 3D in Teilen, man sieht sie erst vollständig, wenn man aus einem bestimmten Winkel über eine Fassade schaut.

Es ist dieses Fieber, das mich befällt: jedes Bild zu finden und in jede dieser verdammten Ruinen zu klettern. Man muss sie suchen – zum Teil gut versteckt sind die Bilder in den leer stehenden Gebäuden. Mal muss man in einen Keller steigen, mal in den dritten Stock. Neben Schutt vorbei oder über ein Holzbrett geklettert: da sind sie dann mit verschiedenen Sprüh-Techniken. Einige sind einfach genial. Wie Adam und Eva, wo man erst beim zweiten Blick erkennt, dass Eva einen Penis und Adam Titten hat. Drei Tage, um alles gesehen zu haben. Drei Tage die ich aber nicht habe. Vom Wasser weich gewordene Kartonschachteln sind da- Hinterlassenschaften mit persönlichen Papieren und einigen Habseligkeiten. Müll und Müllsäcke, Abfall. Hier passiert noch mehr, als Graffitisprühen oder Armeeübungen. Maltas Jugend in Trainerjacken übt hier mit Luftgewehren Zielübungen auf Bierflaschen. Draussen klirrt Glas. Ein Taxifahrer rollt mit seinem Fahrzeug über die Hauptstrasse im Gelände. Eine Männergruppe lungert herum. Mehr weiss ich aber nicht – mit der Zeit tauschen alle wieder ab in ihre Löcher. Das letzte was ich sehe auf meinem Trip ist die Badeanstalt der Ferienkolonie mit verspielter Architektur und einem grossen Becken voller Brackwasser. Sprüche schmiegen sich in die Rundungen der Bögen oder heben sich klar ab von Säulen. Ungewöhnlich alles. Ich war hier, sage ich mir – ich war hier.

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Autor: Sabine Hunziker

Man behauptet, dass Katzen sieben Leben haben. Nacheinander. Manchmal glaube ich, dass ich auch sieben Mal lebe, dies aber nebeneinander und immer wenn ich einen chinesischen Glückskeks breche und esse, dann seht da auf dem Zettel: „machen Sie jetzt nicht den gleichen Fehler!“

Was ist zwischen Geburt und Tod eingeklemmt? Nach einer Schneiderlehre, einem Uni-Studium und ein paar geschriebenen Büchern später ist mein nächstes Ziel eine Boxschule in Mexiko zu eröffnen.

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