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SSC 666 – I kiss the hand of my destroyer

Pervers! Mmmh! Ah! Das Wort jagt uns einen Schauer über den Rücken. Von Schreibtischhengsten und Paragraphenreitern wird es nun nach Jahren friedvollen Dahinvegetierens aus der Versenkung gezerrt.

Die Causa Böhmermann, vielmehr der teutonisch-türkische Mumpitz, rückt den Begriff wieder ins öffentliche Interesse. Damals, als es noch keine sozialmediale Züchtigung und Bannung gab, flüsterten sich höchstens polystergewandete Damen mit Lockenwicklern Geschichtchen über Exhibitionisten und Perverse zu. Der Sexualpathologie Krafft-Ebing unterschied Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen Perversion als Krankheit und Perversität als Laster. Seither wird jede Abweichung von der Norm als „pervers“ betitelt und Liebhaber „abnormer“ Praktiken mit dem Stigma des „Perversen“ belegt. Dass dieser Begriff trotz der offiziellen Begriffe der „Sexualpräferenzstörung“ und der „Paraphilie“ erneut die Runde macht, ist symptomatisch für die Verknöcherung der Sexualmoral. Die Verfechter der neuen Spießigkeit berufen sich auf vorgeblich universelle Werte wie Gleichheit und Menschenwürde. Dabei vergessen sie allzu gern, dass Sexualnormen zeit-und kulturabhängig sind. So muss man in Bakersfield, California ein Kondom benutzen, wenn man mit Satan vögeln will. SSC 666 – safe, sane consensual sex with Satan! Weird!

Sex mit Tieren scheint uns auf den ersten Blick genauso absurd wie Bakersfield und doch ist Bestiality weitverbreiteter, als man denkt. In Skandinavien gibt es sogar Tierbordelle, inspiriert von den alten Römern, deren tierische Freudenhäuser gar auf bestimmte Gattungen spezialisiert waren. So vielfältig der gesellschaftliche Umgang mit Mensch-Tier-Liebe ist, so heterogen sind auch die gesetzlichen Regelungen. In der Schweiz ist Zoophilie gesetzlich verboten, in Deutschland greift seit 2013 das Tierschutzgesetz, nachdem 1969 der Paragraph zur „widernatürlichen Unzucht“ mit Tieren gestrichen wurde. Die zunehmende rechtliche Durchdringung von Privatheit macht auch vor Sexualität nicht halt. Recht und Moral versetzen kultureller Vielfalt und verantwortungsbewusstem Handeln den Knock-out.

Allein aus diesem Grunde, aus Rebellion gegen den Siegeszug der Norm, plädiere ich für einen offenen Diskurs ohne Maulkorb und Scheuklappen. Die zoomorphen Formen der ägyptischen Götter und die animalischen Wandlungen in der griechischen Mythologie zeigen, dass tierische Liebe zumindest eine träumerische Obsession seit Menschengedenken ist. Die Gebrüder Grimm befruchten unsere Fantasie mit wölfischen Liebhabern, Wagner lässt Ledas Liebe zum Schwan wiederaufflammen („Am Kettlein, das ich um ihn wand, ersah ich wohl, wer jener Schwan…“) und Nicolette Krebitz lässt sich den Wolf keinesfalls durch die Lappen gehen. Dass es sich in Krebitz’ Film „Wild“ nicht einfach um eine Fabel für Nature Seekers und Zivilisationsfeinde handelt, zeigt sich in einer Traumsequenz. Anja, die Hallenser IT-Assistentin und Wolfsgeliebte, lockt mit ihrem Blut den gefangenen Wolf. Das Tier, lechzend nach der warmen Körperflüssigkeit, leckt sie bis zur orgiastischen Verzückung… und ich muss zugeben, dass mich dieser Anblick alles andere als kalt ließ auf den abgewetzten Sitzen des Kant-Kinos. Nur die mich umgebende, aus allen Poren Asexualität ausdünstende Berliner Intelligenzija hinderte mich daran, mich selbst zu erlösen.

Wenn mir die Angst vor Capital Hipsters aber schon so tief in den Knochen sitzt, dass ich nicht einmal mehr meine Jacke über den Schoß zu breiten wage und mit meinen Fingern im Rhythmus der Leinwandzuckungen tiefe Begierde zu stillen wage, ist das ein schlechtes Zeichen für das Animalische in mir. Da kann ich mir noch so oft vor Augen halten, dass unser Gehirn zu 80% dem des Krokodils gleicht! Das Wölfisch-Reptilienhafte aus meinen Zellen zu locken, bedarf hoher Selbstüberredungskünste trotz des in Aussicht gestellten ungefilterten Genusses.

Nicht die biblische Ausnahmestellung des Menschen nagt an meinen Wirbeln, auch nicht bayerische Gschamigkeit, wohl aber die Angst, als selbstbestimmtes Wesen, als Frau mit bump & brains zu versagen, wenn ich das Prinzip der Gleichrangigkeit auf dem Altar der Lüste opfere. „I am not a crazy fuckin’ pervert!“ fühle ich mich genötigt, der Welt entgegenzubrüllen, auch wenn ich Zeus’ Schwanenschwingen im Traum bereits auf meiner Haut spürte. Und: Macht euch keine Sorgen um meinen Selbstzerstörungsdrang! Die kitzelnde Neugier treibt sich durch meine Adern hinein in die Meningen, bis ich, schamlos, befreit von Norm und Narretei, besinnungslos „Surrender!“ hauche.

Und wenn er mir die Kehle durchbeißt – dreams are my reality – dann singe ich: „I kiss the hand of my destroyer.“

 

 

 

 

 

 

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Autor: Theresa S Grunwald

Ekstatische Verzückung, Devotion, deutsche Romantik – Theresa S. Grunwald, das Pseudonym dient als sprachliche Verhüllung, lebt nicht nur in einer pornographischen, von einem leisen Hauch Katholizismus durchwehten Welt. Der Durchbruch ins Animalische gelingt nicht immer, Hölderlins Liebe greift sie manchmal hart am Schopfe. Masken sind aber durchaus ein probates Hilfsmittel, um extreme Widersprüche, Sex und Liebe ist nur einer davon, in Genuss umzuwandeln.

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