in

es muss ja wohl an diesem seltsamen wetter liegen

Am Anfang war es für Frau Soter ein recht guter Tag gewesen. Bevor sich dann gegen Abend die Kopfschmerzen eingeschlichen haben. Garniert mit einem leichten, aber irgendwie irritierenden Magengrimmen. Symptome, die gewiss von der unerfreulichen Wetterlage ausgelöst worden sind.

Frau Soter hatte, wegen der vielen Überstunden, die sie an ihrem Arbeitsort regelmässig zu leisten pflegte, an diesem Freitag nämlich einen freien Tag einziehen können, wie man so schön sagt. Von Beruf war sie Fachberater/-In für Fachberater/-Innen. Bei einer Firma, die Grundlagenarbeiten ausführte, die Arbeitsgrundlagen für weitere Grundlagenarbeiten darstellten, auf dem Gebiet der Effizienz- und Exzellenzsteigerungsentwicklung.

Herr Soter würde am heutigen Abend früher als sonst nachhause kommen. Darauf freute sich seine Frau. Als zertifizierter Power-Point-Präsentations-Fachexperte, der Unterlagen für die Zertifizierungsprüfungen für weitere Power-Point-Präsentations-Fachexperten/-Innen erarbeite, eine Stabsstelle beim Staat also, war er beruflich meistens doch recht belastet. Was durchaus auf seine libidinöse Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit Auswirkungen hatte. Deutliche Auswirkungen. Es gab Abende, an denen Frau Soter tun konnte, was auch immer sie wollte, bei ihrem Gatten kam einfach nichts zustande.

Egal, welche Aussichten und Perspektiven sie ihm bot.

Während sie vergeblich dafür kämpfte, sich ins Zeug legte, dass er endlich seinen Aufstand machte, konnte sie förmlich hören, wie es in seinem Hirn ratterte, konnte sie fühlen, wie komplett absorbiert er war. Von Themen, wie etwa der Erstellung einer Matrix, in die – sowohl horizontal, als auch vertikal – Tausende von Qualitätsmerkmalen eingetragen werden können, um die Meilensteine einer Progressionsanalyse zu illustrieren, unter Berücksichtigung der prozessorientierten Vorgehensweise, zu der sich sein Amt bereits vor zwei Jahren mit Haut und Haar verpflichtet hatte. Alle Angestellten haben die Verpflichtungsdokumente mit ihrem Blut unterschreiben müssen, schon beim Kick Off Meeting.

Heute würde es aber anders kommen. Sie wusste, dass Herr Soter gestern im Grossraumbüro einen weiteren mächtigen Meilenstein hatte setzen können. Sie wusste, dass er heute mit seinem Team darauf anstossen und danach gut gelaunt, gut durchblutet nachhause kommen würde. Eigentlich hatte sie deshalb den freien Tag eingezogen, wie man eben so schön sagt.

Sie wollte nämlich dafür sorgen, dass ein wirklich aufregender Abend zustande kommen würde. Wieder einmal eine zweisame Orgie in der sorgsam eingerichteten Wohnung. Ein privates Fest, das sogar den vier verkommenen Mönchen aus dem Roman „Justine“ des Marquis De Sade, den sie so liebte, die Schamröte ins Gesicht treiben würde. Frau Soter und ihrem Mann gefielen übrigens alle drei unterschiedlichen Versionen des Romanklassikers, die der göttliche Marquis in seinem Leben verfasst hatte. Ihre Hausbibel aber war jene formidable Ausgabe in zehn Bänden, erschienen beim Matthes und Seitz-Verlag, die längste erhältliche Version der Historie der beiden Schwestern, der züchtigen, gezüchtigten Justine und der masslos ausschweifenden Juliette, wie sie von den Herren Pfister und Zweifel so hervorragend ins Deutsche übertragen worden ist.

Auch die Comic-Umsetzung von Guido Crepax sagte ihnen ausserordentlich zu. Crepax war sowieso ein kleiner Hausheiliger bei den Soters. Mit der Filmversion von Jess Franco, in der Romina Power einst die Justine gegeben hatte, konnten sie allerdings nie warm werden. Franco hat zwar einige schöne Streifen gedreht, „Vampyros Lesbos“, „Sadomania“ oder „L’éventreur de Notre-Dame“ zum Beispiel. Doch ausgerechnet bei „Justine“ versagte der alte Lustmolch kläglich, genauso wie damals Just Jaeckin, bei seiner unsäglichen, ungeilen, uninspirierten „Geschichte der O“-Verfilmung.

Doch der alte Jess hatte ja nun vor wenigen Wochen das Zeitliche gesegnet – und den Toten soll man alles verzeihen.

Frau Soter ahnte, dass sie den grossen schwarzen Teufelshund, wie sie seine dunkle Seite bei sich selbst heimlich nannte, der tief im Inneren ihres Gatten wohnte, heute Nacht wieder einmal dazu bringen würde, sich mehrfach bis zur Erschöpfung auf die Hinterbeine zu stellen, sich stramm, sich schäumend und zähnefletschend aufzubäumen, den Mond anzuheulen und endlos über sie herzufallen. Unter Einsatz aller notwendigen und wünschenswerten Kostüme, Kulissen und Requisiten natürlich…

Sie brauchte es. Er brauchte es. Sie brauchten es beide. Dringend.

Ihre Astrologin versicherte ihr gestern Nachmittag, dass die Sterne ihr fröhliches Vorhaben nach Kräften unterstützen würden. Auch ihre Fachärztin für Psychoanalyse hatte ihr am Montag angeraten, forsch vorzugehen und ihre erotischen Phantasien wieder einmal umzusetzen, komplett mit Macht und Ohnmacht, Ketten und Peitschen. Frau Soter beschloss also, das Imaginäre am Freitag unerbittlich in den Bereich des Realen hinunterzuziehen – unter Berücksichtigung aller Ansprüche des Symbolischen natürlich.

Und deswegen ging sie erst mal auf Shopping Tour…

…mit ihrer besten Freundin zusammen, Frau Chronozon, die für den Abend übrigens ähnliches im Sinne hatte, mit der sie ohnehin ihre tiefsten Geheimnisse teilte – und manchmal sogar einen heftigen doppelten Höhepunkt. Davon wussten Herr Soter und Herr Chronozon allerdings nichts. Noch nicht. Die beiden Damen hatten aber schon lange vereinbart, dass sie es ihren Gatten einmal in epischen Dimensionen vorführen möchten – manchmal übten sie sogar vor dem Spiegel für die geplante saftige Aktion -, wenn die Zeit dafür reif sei. Dieser Zeitpunkt rückte zwar stetig näher, aber die Sternenkonstellation war noch nicht ganz perfekt. Vorfreude und Nervosität mischten sich in Frau Soters Gefühlswelt zu einem prickelnden Cocktail, wenn sie jenem Tag entgegen dachte, an dem dieser exhibitionistische Plan dereinst zur Ausführung gelangen würde. Gefolgt von einem dreckigen vierblättrigen Kleeblatt.

Doch zunächst stand das heisse Duo mit ihrem Mann auf dem Programm.

Die Ladies gingen also in die Stadt. Zunächst Capuccino trinken. Bei Alfredo, der den beiden Signoras immer so schön schleimige Komplimente machte, für ihre drallen und prallen Körperformen, vor allem für ihre Hintern. Heute war er allerdings etwas zurückhaltender als sonst: „Ich habe Kopfschmerzen. Auch mein Magen ist irgendwie lausig beieinander…“, jammerte er gedrückt, „…kein Wunder, bei diesem Wetter.“

Dann ging es in die Apotheke, blaue Pillen holen, die eine solide Grundlage für Herrn Soters mehrfache Aufrichtung schaffen sollten.

Und weiter zu Karlheinz, dem Lieblings-Kokaindealer beider Ehepaare, in dessen Wohnung sie sich schon mal ein paar Nasen genehmigten. Guter Stoff. Aus Venezuela. Ohne jenen Speed-Scheissdreck, mit dem das Zeugs sonst oft genug gestreckt ward, der den Rausch mit unangenehmen nervösen Nebengeräuschen zu spicken pflegte.

Mit zwei Flaschen Champagner zusammen, die man – nachdem sie ausgetrunken sind – ja auch noch anderweitig verwenden kann, gab dieser Stoff zweifellos einen prächtigen Mix ab. Für eine private Orgie à deux, einen epischen Reigen der Passionen, in dessen Rahmen Sinn und Verstand wuchtig zum Fenster rausgeschmissen würden, der überdies erst dann enden sollte, wenn die Vögel ihre Lieder einem grauenden Samstagmorgenhimmel entgegenpfeifen.

Nun zogen die beiden Damen in Agathas „Bumsladen“, einen sympathischen, hellen Erotikbedarfshop, frei von jeder schmuddeligen oder gar ordinären Peinlichkeit, der das aufregendste Repertoire an Wäsche und Spielzeugen für Erwachsene führt, das in dieser Stadt feilgeboten wird. Die Besitzerin, Agatha, war immer prächtig aufgelegt, humorvoll, verständnisvoll, aufgeschlossen, weltoffen.

Nur heute ging es ihr leider nicht besonders gut. Sie habe Kopfschmerzen – und zudem irgendwie ein leichtes Stechen im Magen. Müsse wohl wegen des seltsamen Wetters sein. Sie würde dann jedenfalls früh ins Bett gehen.

Trotzdem kauften Frau Soter und Frau Chronozon nach Herzenslust ein. Exotische Reizwäsche von „Luxxa“, „Frederick’s of Hollywood“, „Lola Luna“, wohlfeile hohe Schnürstiefel aus genarbtem Menschenleder – und noch exotischere Spielzeuge, deren Funktionsweisen wir hier nicht beschreiben können. Schliesslich ist dies ein anständiger Text – für ein seriöses Medium!

Dann begaben sich die Damen in eine elegante Bar. Sie wollten sich mental auf den Abend vorbereiten. Bei Cocktails und anregenden Gesprächen. Unvermittelt sagte Frau Chronozon: „Du, ich habe plötzlich so seltsame Kopfschmerzen, auch mit meinem Magen scheint irgendwie etwas nicht ganz zu stimmen. Liegt wohl an diesem eigenartigen Wetter. Ich gehe besser nachhause und lege mich hin.“

Also fuhr auch Frau Soter heim…

…voller Vorfreude auf eine abgefahrene Nacht. Sie staubte die Sexmöbel ab, die nun schon lange nicht mehr zum Einsatz gekommen waren, legte das Badezimmer mit Plastikplanen aus, für jene besonders abgedrehten Spiele der ganz späten Nachtstunden, und flüsterte – selig lächelnd – obszöne Wörter vor sich hin, während „Take It to the Limit“ von den Eagles aus den Radiolautsprechern in die gute Stube strömte.

Dann vibrierte ihr Handy.

Ihr Mann war dran. Er sagte: „Hör mal. Ich komme jetzt gleich nachhause. Ich habe so verdammt eklige Kopfschmerzen und mein Magen ist irgendwie nervös. Das wird wohl mit diesem komischen Wetter zu tun haben. Ich muss mich dringend hinlegen.“

Oh je. Mächtig grosse Enttäuschung. Eine regelrechte Eisdusche. Frau Soter musste sich erstmal hinsetzen und eine dicke Cohiba rauchen, bevor sie den soeben erlebten Antiklimax in ihrer angeborenen Gutmütigkeit auflösen konnte.

„Dann halt morgen“, dachte sie.

Eine halbe Stunde später betrat ihr Mann das Appartement. Er schluckte sogleich 1000 Milligramm Ponstan, legte sich in die Heia – und tauchte unverzüglich ins Reich des Schlafes ab. Schnarchend. Frau Soter köpfte ihrerseits eine Flasche Burgunder, setzte sich sodann mit einem grossen Schwenker vor den Fernseher. Sie hatte „Viols“ von Mario Salieri in den DVD-Player geschoben, einen Italo-Porno, den sie immer wieder anregend fand. „Inspiration für morgen“, sagte sie sich. Als dann jene schöne Szene mit der Studentin und dem Hypnotiseur über den Bildschirm flimmerte, merkte sie plötzlich, dass sie Kopfweh hatte – und auch der Magen war irgendwie verstimmt. „Dieses ärgerliche Wetter macht heute wohl allen zu schaffen“, dachte sie.

Also nahm sie schnell 1000 Milligramm Ponstan, legte sich neben ihren Gatten ins Bett – er schnarchte nun nicht mehr – und schlief ungewöhnlich schnell ein. Als würde sie mit einem dieser modernen Expresslifte in eine Tiefgarage hinunterfahren.

Nun graut der Samstagmorgen. Die Vögel pfeifen.

Sonst ist es sehr still, in jener Strasse, an der das Ehepaar Soter wohnt. Keine Automotoren, keine Schritte, keine Stimmen sind zu hören. Auch in der Wohnung herrscht absolute Stille. Herr und Frau Soter liegen steif und starr im Ehebett.

Sie sind nämlich tot.

Aber nicht nur sie. Auch alle Nachbarinnen und Nachbarn sind über Nacht gestorben. Tatsächlich lebt in der ganzen Stadt kein einziger Mensch mehr. Genauso ist es landesweit, europaweit, weltweit. Alle Leute sind tot. Treue Hunde betteln vergeblich um Futter, Zootiere schreien vor Hunger, sie können  nie mehr gefüttert werden, Eichhörnchen spielen in den Ästen der Bäume und über allem fliegen die Vögel, denen der Himmel nun wieder alleine gehört….

Die Menschenkinder sind alle zusammen über den Jordan gegangen. Unmittelbar vor dem Wochenende. An manchen Orten ist es nachts geschehen, anderswo am heiterhellen Tag, je nach Zeitzone halt. Warum es passiert ist, kann nun niemand mehr herausfinden. Es muss wohl an diesem irregulären Wetter gelegen haben: Jener weltweiten Front, die in den Fernsehnachrichten aller Nationen schon seit Wochen ausführlich besprochen worden ist.

Die Orgie à deux von Herr und Frau Soter ist also endgültig gestrichen. Frau Soter und Frau Chronozon werden ihren Ehemännern niemals jene aufregenden Vorführungen zeigen können, auf die sich die beiden Damen so lange gefreut und vorbereitet hatten. Es wird nie mehr Weihnachten, Ostern, Pfingsten sein – und auch sämtliche Ferien sind gestrichen. Bis in alle Ewigkeit.

Gefällt dir dieser Beitrag?

One Comment

Leave a Reply

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

Facebook Profil

wilder pfadi mit handlungsbevollmächtigung

Star Trek: Into Darkness