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Wieso sollten wir in den sozialen Medien mit dem Tod umgehen können?

Beim Absturz des Germanwings-Airbus A320 in Südfrankreich sterben 150 Passagiere. Die Meldung rast durch die digitale Öffentlichkeit. Während die Presse sich einen spekulativen Wettstreit um Information liefert, bekunden Tausende ihre Anteilnahme in unterschiedlichster Form: Die Airlines färben ihre Firmensignete schwarz ein, der Hashtag mit der Flugnummer wird Trending Topic Nr.1 auf Twitter und öffentliche Personen tragen Trauerflor. Vereinzelt wird die demonstrierte Empathie vom vermeintlichen Humor einer Hand voll Provokateure gestört.

Die Wut ist bekanntermassen eine Phase in der Verarbeitung von Trauer. Wir möchten jemandem die Schuld zuweisen, weil wir das Unglück nicht fassen können. Der Schock lässt unsere Haut so dünn werden, dass wir keine Abweichungen zu unserer Form von Verarbeitung zulassen. Es ist genau diese Überforderung, die uns jegliches Verständnis für andere Sichtweisen und deren Hintergründe nimmt. Gleichzeitig stehen wir uns im digitalen Kosmos alle unmittelbar gegenüber und verfolgen in Echtzeit, wer in welcher Art mit dem Geschehenen umgeht.

Der Journalist im redaktionellen Zugzwang wird zum sensationsgeilen Monster, die Kondolenzen von Privatpersonen werden als heuchlerische Eigeninszenierung beurteilt, die Kritik an der Kritik muss sich den Vorwurf der Pietätlosigkeit anhören, wer es als Unternehmen in diesen Stunden wagt einen werberischen Post abzusetzen, wird als Konzern ohne Mitgefühl geschasst und alle die, welche sich dem Thema humoristisch zu nähern wagen, werden gar mit dem Tod bedroht. Mit den Erkenntnissen des absichtlich eingeleiteten Sinkflugs, kanalisiert sich der geballte Hass zwei Tage später schliesslich auf den Co-Piloten, der 150 Menschenleben auf dem Gewissen haben soll.

Fälle wie dieser tragische Flugzeugabsturz zeigen uns, dass es gerade im Umgang mit dem Tod keine rationale Best Practice für unser Verhalten in den sozialen Medien gibt. Seltsamerweise versuchen wir uns dennoch alle gegenseitig einzuhämmern, wie man sich in Anbetracht einer solchen Tragödie in der digitalen Welt gefälligst zu verhalten habe oder eben nicht. Ich habe mich selbst dabei erwischt, andere für ihre Reaktionen auf die Tragödie harsch zu kritisieren, muss mich mit ein wenig Selbstreflexion aber an der eigenen Nase nehmen.

Die meisten von uns können in der Realität nicht mit dem Verlust von Menschenleben umgehen, wofür unser Umfeld in der Regel Verständnis zeigt. Es ist an der Zeit, dieses Verständnis gegenüber der hoffnungslosen Überforderung mit dem Tod und den irrationalen Reaktionen darauf auch gegenüber den Akteuren in den sozialen Medien aufzubringen. Das fällt mir persönlich keineswegs leicht, ist vermutlich aber die einzige Regel, die wir im Bezug auf den digitalen Ausdruck von Schock und Trauer anwenden sollten.

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Autor: Kaspar Isler

Lebt in Zürich. Kommuniziert gerne. Beruflich wie privat. Schreibt aus Überzeugung. Und für Geld. Vorzugsweise kombiniert. Ist Agenturinhaber. Produziert Inhalte. Texte, Fotos und Videos. Vorzugsweise kombiniert. Nutzt und versteht neue Medien. Hat ein grosses Netzwerk. Virtuell wie real. Findet das grossartig. Meistens zumindest. Sucht den Sinn. Mitunter im Sinnlosen. Ist meistens Realist. Manchmal Tagträumer. Ist überzeugt von sich. Und vielen anderen. Toleriert grundsätzlich alle. Ausser sie tolerieren andere nicht.

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