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Gemeinsam gegen sich selbst

War da nicht noch was? Da war doch noch was… Doch, was war da noch? Ach… Nun erinnere ich mich. Vorletztes Wochenende. Eine Podiumsdiskussion. Zum Thema… hmmm… ja, das war das Thema: „Gemeinsam gegen Verdrängung – Geht das?“ Ich war als Initiant der Kult-Petition „Langstrasse bleibt Langstrasse“ eingeladen, Kult hat darüber berichtet.

Einerseits fühlte ich mich durch die Einladung geehrt – andererseits war ich mir natürlich im Klaren darüber, dass ich mich hier in die Höhle des Roten Zürich-Löwen begebe. Linker kann ein Stadtquartier nicht sein, hier haben die Sozialdemokraten sogar das Patronat eines ganzen Quartierfestes. Na gut, wenn die Quartierbewohner an einer SP Wahlveranstaltung für Bratwurst und Bier bezahlen wollen, bitte. Aber immerhin gibts ja dafür jeweils auch ein Rahmenprogramm. Nebst Musik eben auch Diskussionsrunden mit hochkarätiger Teilnehmerschaft. Linker gehts nicht? Gehts wohl. Doch der Reihe nach.

Verdrängung
Dass Linke und Linke das Gras nicht immer auf der selben linken Bühne haben, war mir schon im Vornherein klar. Sie geben es ja nicht gerne zu, aber man gerät sich schon immer mal wieder in die Haare dort drüben. Nicht zuletzt, wenns die Juso-Jungspunte (mal wieder) besser wissen als die alten SP-Säcke. Links ist eben nicht gleich Links, da gehts manchmal durchaus auch noch etwas linker. Was das heisst, sollte ich an diesem sonnigen Samstagnachmittag am eigenen Leib erfahren. Mit mir versuchten unter anderen Stadtrat und Polizeivorstand Richard Wolff und Alt-Chreis-Cheib-Beruhiger Rolf Vieli eine Antwort auf die Frage zu finden, ob es im Kampf gegen die Verdrängung aus der Stadt Zürich (aus Städten ganz generell) eine Lösung gibt, bei der möglichst keiner der Beteiligten zu kurz kommt. Und Beteiligte gibt es denn auch so einige. Auslöser der Kult-Petition, welche das Langstrassenquartier als (letzte) Ausgangsmeile als solche beibehalten möchte, waren Anwohnerinnen und Anwohner, welche sich von ebendieser verdrängt fühlen. Das Nachtleben seinerseits fühlt sich von immer stärkeren Repressionen und strengeren Gesetzen durch den Stadtrat (wortwörtlich) an den Rand gedrängt. Reich lässt Arm keine Chance, der Immobilienspekulant dem Durchschnitts-, Schlecht- oder Garnicht-Verdiener, die Cüpli-Klasse der Nischenkultur, der Rücksichtslose dem Wehrlosen, der Laute dem Verstummten… die Liste liesse sich beliebig weiterführen.

Da sollte es ja wirklich mehr als ein frommer Wunsch sein, dass ein Miteinander möglich ist. Und zwar ohne sentimentales Geplänkel, sondern klar organisiert und reglementiert, wie es in einer Gesellschaft wie der unsrigen nun mal notwendig ist. Ein Miteinander, das auch Nischenkultur und Nachtleben Platz lässt. Ein für alle Mal. Mit dieser Einstellung bin habe ich mich an den Diskussionstisch gesetzt, diesen Standpunkt wollte ich aus meiner Warte vertreten, entsprechend habe ich mich in meinem ersten (und für lange Zeit letztem) Votum geäussert. Dann kam allerdings alles anders.

Die Linken sind schuld
Gesprächsleiter Daniel Ryser von der WOZ (Die Wochenzeitung) empfing mich mit und stellte mich vor als „Pete Stiefel, Vertreter der Partyszene. Obwohl man ihm dies gar nicht ansieht.“ Er erwartete offenbar einen besoffenen, gröhlenden Malle-Touristen, der gerade eben noch hinters Juso Zelt gekotzt hat. Nein, diesen Gefallen habe ich den Anwesenden nicht gemacht. „Jenes kotzende, pissende und gröhlende Partyvolk vertrete ich allerdings auch gar nicht, und die Kult-Petition verteidigt diese Szene und ihre unkontrollierten Anhänger auch in keiner Art und Weise“, hätte ich gerne gesagt, hätte man mich gelassen. Meine Stimme fand in der Gesprächsrunde allerdings kaum Gehör. Die Diskussion wurde denn auch vom ehemals ultra-linken und Beruhige-Die-Quartiere-Koste-Es-Was-Es-Wolle Vieli und ebenfalls (ehemals) ordentlich linken Wolff dominiert – und vom Thema Wohnen. Und davon, dass dies in der Stadt Zürich unterdessen kaum mehr zu bezahlen sei. Und dass es die Linke leider verpasst hätte, dieser Tendenz rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Und dass die SP und die Grünen und die Alternativen hätten sollen… So schob man sich dann für eine ganze Weile gegenseitig die Schuld in die Schuhe, und ich war mir nicht ganz sicher, ob das Publikum wirklich für eine solche Show auf den Röntgenplatz gepilgert war. Oder vielleicht doch eher für Bratwurst und Gratis-Musik. Einig war man sich eigentlich lediglich in der Ansicht, dass Immobilienspekulanten die wahren Übeltäter seien, allen voran die SBB, die sich mit der Europaallee nun wirklich eine verdammte Sauerei leiste, daneben wurde das verschandelte Zürich-West ordentlich durch den Dreck gezogen. Welche Wunschvorstellungen man an das boomende Industrie- UND Wohn-Quartier hegte, wurde nicht bekanntgegeben. Dass alle diese Bauvorhaben von der linksdominierten Stadtregierung und der links wählenden Stadtbevölkerung gut geheissen worden ist, davon war ebenfalls mit keiner Silbe die Rede. Stattdessen drehte man sich im Kreis, flehte den Podiumsteilnehmer und SP-Nationalratskandidaten Angelo Barrile an, seine Partei möge doch ums Himmelswillen endlich einen Weg aus der Misere finden. Dieser konnte aber auch nicht in diesem Moment eine Lösung aus dem Ärmel zaubern, so begann man sich in sozialistischen Ideologien zu suhlen, dass es doch wundervoll wäre, würde die Stadt ihren eigenen Boden und die darauf gebauten Liegenschaft besitzen. Dann könnte man, dann würde man, dann wäre alles besser. Hätten doch die Bürgerlichen (glücklicherweise hat man da noch einen Sündenbock gefunden) in den 80-er Jahren bloss nicht alles verramscht. Mir graust offen gestanden vor übermässigem Staatsbesitz und -einfluss. Es sei denn Liegenschaften werden benötigt, weil sie städtische Dienstleistungen zu beherbergen haben, oder weil man sie aus strategischen Gründen besitzen sollte. Ich denke mir beim Beobachten dieser Szenerie: „Eigentlich könnte man die Linken ja beruhigt einfach sich selber zerfleischen lassen – leider hinterlassen sie dabei zu viele Scherbenhaufen und verursachen nicht absehbare Kosten.“ Aber ich schweife vom Ursprungsthema ab. Wie die gesamte Podiumsdiskussion.

Ich gestehe selbstverständlich ein, dass es ein Wohnproblem gibt in der Stadt Zürich. Ich bestreite auch nicht, dass auf dem Wohnungsmarkt eine Verdrängung stattfindet, die bisweilen bedenkliche Dimensionen annimmt. Spätestens dann, wenn Wohnungen saniert oder neu gebaut und anschliessend zu Fantasiepreisen angeboten werden, während Alteingesessene aus dem Quartier spediert werden, in welchem sie möglicherweise ihr ganzes Leben verbracht haben. Ich gebe aber gleichzeitig zu Bedenken, dass sich die Linke hier eindeutig in den eigenen Schwanz beisst. Indem sie nämlich ganze Strassenzüge beruhigt und in Wohnzonen umwandelt, öffnet sie damit der Immobilienspekulation Tür und Tor. Ziemlich blauäugig von einem Roten, zu behaupten, er hätte das nicht kommen sehen. Aber ich schweife erneut ab. Ich war eigentlich hier, um dem Nachtleben einen Platz einzuräumen, den es verdient hat. Und den es zu verteidigen gilt, wie beinahe 3000 Unterzeichnende unserer Petition bezeugen.

Adieu Nachtleben, es war schön  mit dir. Aber so macht das einfach keinen Sinn mehr.
Für genau dieses Nachtleben sehe ich aber, und das muss ich nach diesem Erlebnis leider sagen, rabenschwarz. Zwar hat der Stadtrat Ende September noch zu einem Roundtable eingeladen, an dem alle Beteiligten zu Wort kommen sollen – aber ich halte hier Schwarz auf Weiss fest: Die Meinungen sind gemacht, die Weichen gestellt, und die zeigen in Richtung Komplette Beruhigung der gesamten Stadt. Spätestens wenn an der Geroldstrasse in den letzten Clubs das Licht ausgeht, ist Schluss mit Lustig. Kultur findet dann praktisch nur noch hinter verschlossenen Türen des Opernhauses, des Schiffbaus, des Schauspielhauses und des Kunsthauses statt. Der Gastronomie wird das Leben zusehends erschwert, mit unsäglichen Massnahmen und zahllosen Vorschriften der Schnauf abgedreht. Es wird kein Nebeneinander mehr möglich sein, selbst wenn dies dem Wunsch einer Mehrzahl der StadtbewohnerInnen entspricht. Die launische Minderheit obsiegt mit ihren Einsprachemöglichkeiten und gelangt ans Ziel, an der Langstrasse bei offenem Fenster zu schlafen und höchstens noch vom Gezwitscher der Stadtvögel belästigt zu werden, denn die Nachtvögel sind dannzumal tot.

Sympathie für den Revolutionären Aufbau
Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich eines Tages mit dem Revolutionären Aufbau sympathisieren würde und mit ihnen eine Meinung teile. Ihre Organisation war drauf und dran, die Podiumsdiskussion zu stören, hat es dann aber beim Verteilen und Plakatieren eines Pamphlets belassen. Darin sprechen sie Stadtrat Wolff und Beruhiger Vieli jegliche Kompetenz ab, einen Kampf gegen die Aufwertung führen zu können: „Mittels einer solchen Veranstaltung versuchen sie den Widerspruch zu verschleiern, dass sie gegen die Stadtaufwertung reden, aber für die Stadtaufwertung handeln!“ Ihre Worte sind meine Worte! Keiner steht mehr dafür, Quartiere zu beruhigen und damit die Immobilienpreise in die Höhe schnellen zu lassen als sie und ihre Politik. Und während sie hier am Röntgenplatz sitzen, oder am Langstrassen Round Table Ende September und behaupten, es allen recht machen zu wollen, hockt in einem Büro ein Beamter, der zum Rotstift ansetzt und ein weiteres Quartier beruhigt.

Leider verhaspelt sich der Aufbau dann aber in der weiteren Aussage in seinen altbekannten Gedankenmustern: Böse ist in seinem Aufbau der Kapitalismus und dass es diesen mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. Was das bedeutet, kennen wir zur Genüge: Eingeschlagene Schaufensterscheiben beim Kleingewerbe und versprayte Hausfassaden, demolierte Autos und angezündete Abfallcontainer. Das nennen die unkontrollier- und unorganisierbaren Chaoten dann „Stadtentwicklung von unten“. Tja, auch hier findet sich also kein verlässlicher Partner beim Versuch, der steten Verballenbergisierung Zürichs Einhalt zu gebieten.

Ein kleiner Lichtblick
Meine Hoffnung für wenigstens einen kleinen Lichtblick innerhalb dieser mittlerweils offensichtlich gänzlich nutzlosen Podiumsdiskussion flammt für einen kurzen Moment auf. Zumindest eine einzige Quartierbewohnerin gibt zu bedenken, dass es ihrer Ansicht nach in einer Stadt ein Nebeneinander geben müsse, welches auch Kultur einen Platz einräume. Und Prostitution, Randständigen und selbstverständlich auch einem Nachtleben, welches einer Stadt würdig sei. Auch wenn dies mit Emmissionen verbunden sei. Ein Bravo an die Dame in Rot. Sie spricht mir aus dem Herzen, und gleichzeitig unseren Petitionären, die in einer Vielzahl ebenfalls mitten in den pulsierenden Stadtkreisen 4 und 5 leben. Weil sie hier leben wollen, weil hier das Leben stattfindet, weil hier alles auf engstem raum passiert.

Meine Freude war von kurzer Dauer. Es folgte ein minutenlanger Monolog einer landesweit berühmt-berüchtigen Linken: Nationalrätin Jacqueline Badran. Sie nutzte die Aufmerksamkeit dank Mikrophon nochmals für einen Rundumschlag gegen alle unfähigen Linken, Bürgerlichen und Spekulanten. Dass ihr der noch linkere WOZ-Podiumsleiter nach einer Weile ins Wort ihrer Wahlrede fiel, passte Badran überhaupt nicht, und sie sah sich gemüssigt, ihn in aller Öffentlichkeit als Arschloh zu titulieren. Toll, dachte ich mir. So geht ihr also miteinander um. Ein schönes Schlusswort, und ein richtiger Mutbringer für den Hoffnungskeim, dass dieser Stadt trotzdem noch zu helfen sein könnte.

Mein Abschluss-Highlight war, und das hatte ich schon in meinem Eintrittsvotum angekündigt, dass ich heute Richard Wolff die Kult-Petition überreichen werde. Immerhin. Begleitet von einem wohlwollenden Händedruck bedankte sich dieser für den Stapel Papier. Er habe meine begleitenden Artikel gelesen, es sei natürlich alles ganz anders. Nun müsse er aber los. Und: „Kannst du mir die Petition bitte schicken? Ich habe jetzt leider keine Tasche dabei.“ „Klar, kann ich. Tschau Richi.“

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt.

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Autor: Pete Stiefel

Pete konnte pfeifen, bevor er der gesprochenen Sprache mächtig war – und an seinem ersten Schultag bereits schreiben. Trotzdem ist er da noch einige Jahre hingegangen. Danach schrieb und fotografierte er fürs Forecast Magazin, für Zürichs erstes Partyfoto-Portal stiefel.li, fürs 20 Minuten, MUSIQ, Q-Times, Party News, WORD Magazine, war Chefredaktor vom Heftli, lancierte das Usgang.ch Onlinemagazin – und er textete für Kilchspergers und von Rohrs Late Night Show Black’N’Blond und Giaccobo/Müller. Er trägt (vermutlich) keine Schuld daran, dass es die meisten dieser Formate mittlerweile nicht mehr gibt.

Irgendwann dazwischen gründete er in einer freien Minute seine eigene Kommunikationsagentur reihe13, die unterdessen seit weit über 13 Jahren besteht. Er ist mittlerweile in seiner zweiten Lebenshälfte, Mitinhaber vom Interior Design Laden Harrison Interiors, schrieb unterdessen Pointen für Giacobbo / Müller, Black 'n' Blond (mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr und irgendwann auf dem Planeten Kult gelandet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser Schritt für Pete.

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UND NICHT DIE LIEBE