Der Schlaf ist nie gekommen. Die Sonne ist nie mehr aufgegangen. Die Wunde ist nie verheilt. Windstösse haben meine Fenster zugeschlagen und wieder aufgerissen, Blitze mein Hirn verbrannt, Donnerschläge meine Trommelfelle zerfetzt.
Jetzt schiesst ja bereits Blut aus meinem Mund, meiner Nase, meinem After. Mein Augenlicht flackert. In der Nacht.
Wie eine Kerze, die heruntergebrannt ist. Nach vielen Stunden, in denen sie Liebenden Licht gespendet hat.
Feuer hat die Dame mir geschenkt. Und geglüht habe ich in ihren Armen. Für einen Moment nur.
Dieses Feuer war derart stark, dass es für einige Jahre gereicht hat. Als Treibstoff für mein Herz. Doch dann ist es langsam erstickt.
Es hat eine Leere hinterlassen, in die meine Seele lauthals schreit und bloss Echokaskaden als Antwort erhält. In jener Tonart, die man Verzweiflung heisst.
Die guten Zeiten haben sich verabschiedet. Sie sind in die Ferien gefahren.
Vielleicht nach Sainte-Marie-sur-Mer, zu jener heiligen Sara, die auch Kali heisst, weil sie schwarz ist, der Schutzpatronin der Zigeuner. Ich würde lieber Gypsies schreiben. Aber dieser Text ist halt auf Deutsch.
Vielleicht auch nach Havanna, zu Yemaya, jener mächtigen Orisha, die als Muttergöttin der Ozeane wirkt, und mit der Heiligen Jungfrau von Regla synkretisiert wird. Blau und Weiss sind ihre Farben. Sie ist die Mutter von Oya, Orisha der Winde, der Stürme, die mit Santa Brigitta synkretisiert wird.
Was nützt mir das alles? Jetzt, wo die guten Zeiten sich vom Acker gemacht haben. Wie Diebe in der Nacht. Nicht einmal eine Postkarte habe ich von ihnen erhalten.
Überhaupt habe ich schon lange keine Lebenszeichen mehr erhalten, keine Antworten, Briefe, Notizen.
Man vermisst diese Dinge nicht, wenn man regelmässig damit eingedeckt wird. Wenn sie dann jedoch ausbleiben, wird das Leben plötzlich traurig, das Gemüt dunkel, das Herz schwer. Tonnenschwer. Ja, das Herz, das Herz. Vernarbt, oft gebrochen, oft durchstochen.
Nun fühlt es sich an, als würde seine Kraft nur noch für eine limitierte Anzahl von Schlägen ausreichen.
Mich stört es nicht. Denn ich wünsche mich weit weg von hier. So weit wie möglich. Dorthin, wo mir die Lebenden, die Liebenden keinesfalls nachreisen können. Nicht einmal Du.
So zünde ich einen meiner kleinen Zeitmacher an, eine Zigarette. Sie brennt. Während die Uhrzeiger laufen. „Jung werden Sie sterben müssen“, haben mir die Männer in den weissen Kitteln gesagt, „wenn Sie derart exzessiv rauchen.“ Sie haben sich getäuscht. Ich bin nicht mehr jung. Und die Männer in den weissen Kitteln habe ich alle bereits begraben.
So wie ich Euch alle überleben werde. Weil ich nicht will.
Und wenn Ihr dann alle gestorben seid. Auch, Du, auch Du. Werde ich einige Worte auf einen Zettel kritzeln, die niemand jemals lesen wird. Dieser Zettel wird die letzte Schrift der Menschheit sein. Eine Botschaft von erbärmlicher Banalität: “Das Leben. Die Liebe. Ich weiss nicht. Vieles ändert sich. Tag für Tag.“