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Die Schwere in der Welt

Er war der Vater von Niemand, der Sohn von Keinem. Er heulte in der Nacht, während die Anderen schlafen wollten. Sein Heulen drang in deren Träume ein und vergiftete diese.

Einer Nackten aus Nimmerland

Einst hatte er gearbeitet, bis seine Hände zitterten, sein Hirn blutete, seine Augen trüb wurden. Dabei hatte er das Reale in das Irreale übertragen. Mittels Sprache. Viel lieber hätte er einfach etwas vorgetragen oder – noch besser – vorgesungen, einer Nackten aus Nimmerland, die ihm tief in die Augen schauen könnte, während sie an seinem Vanillestengel saugen würde, der derart tief in ihrem Erdbeermund versteckt sein könnte, dass lediglich noch seine Haselnüsse zu sehen wären.

Es soll ja einige berühmte Musikstücke aus dem Genre der neueren Klänge geben, bei deren Aufnahme der Sänger sich im Studio einen blasen liess, wie man so schön sagt. Doch weg mit solchen Gedanken. Sie stören die Reinheit der Liebe

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Achterbahn im Dunkeln

Einst hatte er geliebt, bis sein Herz zerbrach, wie venezianisches Glas unter den Hämmern der Gnome splittert, geliebt, bis sein Blut kochte wie Bohnensuppe, bis seine Gedankenbahnen sich in eine Achterbahn verwandelten, eine Geisterachterbahn im Dunkeln, bis sein Solarplexus sich drehte, schwindelerregend, gleich einer Feuerwerkssonne in einer feierlichen Nacht. Doch jene Liebe konnte er nie in die Münze des zuckenden Fleisches umwandeln. Nicht einmal in Gedankenexperimenten.

Für die Sünden des Fleisches mussten ihm nämlich, ab einem bestimmten Lebensalter, die so genannten Novizinnen zur Verfügung stehen – dabei war er lediglich ein abtrünniger Katholik. Seine Liebe blieb verschlossen. In einer Schneekugel, in deren Innenwelt die Flocken auf traurige Leichenberge rieselten – und den Toten in dieser Weise eine Art von Ruhe schenkten, welche man durchaus mit Würde verwechseln könnte.

Wenn ihre Gesichter nur nicht so starr, ihre Glieder nur nicht so verrenkt gewesen wären.

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Anakonda würgt Lämmchen

Und einst hatte er die Göttinnen, Götter gelästert, mehr als nur ein Leben lang, er wollte sie provozieren, indem er mit den Dämoninnen, Dämonen um die Häuser zog, in endlosen kalten Nächten, endlose eiskalte Missionen ausführend.

In Traum und Wirklichkeit, die sich manchmal auch zu einem fliessenden Amalgam vermischten: einer Träne jener schwarzen kosmischen Mutter, die den ganzen Kosmos würgt. Wie eine Anakonda ein Lämmchen erwürgt. Die Göttinen und Götter hatten ihm allerdings lediglich ihre kalten Schultern gezeigt, seine Provokationen verhallten im Nichts, welches er fortwährend erschuf.

Machten ihn zum Abt

Doch die irdischen Autoritäten nahmen Notiz von seinen Talenten und machten ihn zum Abt jener dunklen Kirche, welche seit Abertausenden von Jahren damit beschäftigt ist, diese Schwere in der Welt zu behalten, die das Glück der Menschen immer mit Elementen der Unerfüllbarkeit mischt, an der ja die meisten Lebenden zugrunde gehen.

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Privilegien

Die Privilegien seines Postens – im Rahmen der Hierarchie jener dunklen Kirche – bestanden aus den Novizinnen, die alles tun mussten, das machten sie übrigens recht gerne, was ihnen der Abt auftrug, ihre Uniformen waren flotte knappe Einteiler mit offenem Schrittgurt, hergestellt von frommen Einsiedlern, die ewige Keuschheit geschworen hatten, bestanden zudem aus einer grenzenlosen Lizenz zum Töten sowie aus Aspik à discrétion.

Er liebte Aspik, Gans in Aspik, Spargel in Aspik, gesottene Eier in Aspik, Lammlende in Aspik und – der Höhepunkt jedes Mahls – Aspik in Aspik. So vergingen die Tage, 24 Stunden lang wurde jeweils das Böse ausgeführt, bekränzt mit Trauben und Rosmarin, ohne Leine selbstverständlich, das Böse, das die Welt halt braucht. Denn das Böse ist Trumpf, das Böse ist unser Leben, das wird es immer geben, solang’ der Globus noch besteht… Aber Letzteres wird wohl nicht mehr allzu lange der Fall sein.

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Stab im Kelch

Und in den Nächten heulte er, jenes Heulen, das in die Träume der Menschen eindrang und sie vergiftete – und Sie, werte Leserinnen,  können Gift darauf nehmen, dass sein Stab dabei immer im Kelch einer Novizin rührte: Feuer im Wasser. Jede dieser Damen verfügte übrigens über drei Kelche, die sie sorgsam pflegen mussten, dies gehörte zu ihren Grundaufgaben. Geheult hat er übrigens in einer einsamen Kammer, dort oben, im höchsten Turm. Während dieser Tätigkeit ist er auch gestorben, genauer beim Luftholen.

Nach dem Verzehr einer Brattaube in Aspik hatte er nämlich ein kleines, gemeines Knöchlein in seiner Mundhöhle vergessen.

Dieses Ding ist ihm leider in die Atemröhre hinunter gefahren, als er zum Heulen ansetzte, so ist er qualvoll erstickt. Die Novizin, die ihn gerade bediente, war leider weder in erster Hilfe geschult, noch beherrschte sie die acht Schritte des Heimlich-Manövers, denn diese Fähigkeiten wurden in den Frauenschulen jener dunklen Kirche nicht vermittelt, nur das Kama Sutra, die Geschichte der O und der göttliche Marquis de Sade standen auf dem Stundenplan.

Einen neuen Deppen

So starb unser Abt. Die Autoritäten nahmen es mit grosser Gelassenheit, verordneten einige Jahrzehnte öffentlicher Trauer. Und fanden danach schnell einen neuen Deppen für den Posten, dessen Begabung für das Böse jene seines Vorgängers sogar noch überstieg. Doch dieser neue Abt markierte das Finale seiner Amts…

Es fiel nämlich einer Kostenoptimierung zum Opfer, welche angesichts eines akuten Weltuntergangs implementiert wurde.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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