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Happy Weihnukka: Feiern für Meschuggene!

Es ist wie alle Jahre wieder Weihnachtszeit! Und so erscheint wie jedes Jahr zu dieser Zeit meine absolute Lieblings-Feiertags-Kolumne! Here we go again:

Jedes Jahr bin ich erneut verblüfft, dass meine christlichen Bekannten in einen Adventstaumel fallen, der sie nicht etwa erfreut, sondern völlig fertig macht. Ich selbst muss in der schönsten Zeit des Jahres nicht hysterisch werden, ich feiere in aller Ruhe das achttägige, jüdische Lichterfest Chanukka. Das ist zeitlich mobil, doch meist fällt es ein, zwei Wochen vor die Weihnachtszeit. Chanukka ist ein schönes, aber kein Ehrfurcht einflössendes Fest wie etwa der Versöhnungsfeiertag Yom Kippur, an dem sogar sogenannte Dreitage-Juden/Jüdinnen in die Synagoge gehen. Dreitage-Jüdin? Man hält gerade noch die drei höchsten Feiertagen und hat vom Rest mehr oder weniger Ahnung. Ausser von gutem Essen. So wie ich.

Trotzdem, ein wenig Wissen muss hier sein, ich bin schliesslich Historikerin: Chanukka, das Lichterfest, hat folgenden Hintergrund. 165 v. Chr (also vor eurem Chef) lehnte sich ein gutaussehender Jude namens Judas Makkabäus, zusammen mit seinen Brüdern erfolgreich gegen die damalige Herrschaft der Griechen auf. Das wenige, noch vorhandene geweihte Öl konnte den neu geweihten Tempel unmöglich länger als einen Tag lang erleuchten. Wunderbarerweise reichte das Ölbehälterchen jedoch acht Tage lang. Wer‘s glaubt wird selig oder feiert eben fröhlich Chanukka, zündet die Kerzen am Chanukka-Leuchter an – jeden Tag eine neue, bis der Leuchter komplett und hell die Kinderaugen erleuchtet – und verteilt Geschenke an die kleine Mischpoche.

Auch meine Eltern rannten also im Dezember durch die Stadt, um Stofftiere und Feuerwehrautos zu kaufen. Wir Kinder wurden derweil zur Heimarbeit zu Gunsten von Tanten und Onkels verdonnert. In grässlicher Erinnerung sind mir jene zig Kleiderbügel, die im Akkord in türkis Filzverkleidungen gehüllt und mit wunden Fingerbeeren zugestichelt werden mussten. Oder wir sollten sommers Schmetterlinge jagen, sie mit Äther umbringen, sie pressen und hübsch hinter Glasrähmchen legen. Jetzt wissen Sie, wer die Schmetterlinge ausgerottet hat.

Das Schönste an unserer Chanukka-Feier war jedoch immer das Essen, es duftete schon Tage zuvor durchs ganze Haus, knoblauchig nach der damit eingeriebenen Gans, süsslich nach Rotkraut und Apfelmus, zwieblig nach Zibbeles, der gehackten Leber. Die Hühnersuppendämpfe wabberten aus der Küche. Wir Kinder schlichen uns immer wieder in die Küche, um irgendwo unsere Finger hineinzubohren oder gleich einen ganzen Mazzeknödel zu mopsen und wurden dann schimpfend verjagt.

Am Chanukka-Abend sangen wir vielstimmig falsch das Chanukka-Lied. Die erste Strophe ging einigermassen, weil meine Eltern zerfledderte Kopien des Textes verteilten. Höhepunkt war jedes Jahr unsere Lieblingstante Gustl, die jauchzend das fettige Gänsehinterteil verspeiste, während wir ihr ehrfürchtig zusahen. Einmal entflammte der Flambiertisch, auf dem mein Vater wie jedes Jahr eine Kupferpfanne mit Bananen und Dosenananas mit viel zu viel Schnaps in Brand setzte. Wir trugen die lodernde Bescherung in den Garten. Und waren stolz auf das Malheur, denn es war genauso eindrücklich wie ein lichterloh brennender Weihnachtsbaum. Leider reichte es nicht zum Rufen der Feierwehr. Wobei, wir hätten das womöglich unterlassen, denn wir waren überassimiliert, niemand sollte wissen, dass wir jüdisch waren. Ja, die ersten Jahre feierten unsere Eltern fröhlich Weihnachten, erst als wir dahinterkamen, dass das ein Fake war, forderten wir Kinder die Einführung von Chanukka.

Doch wenn die Kindertage vorbei sind, der eigene Nachwuchs flügge geworden ist, wird man Chanukka etwas wehmütig ad acta legen. Und schielt zunehmend neidisch wieder auf Weihnachten, überlegt, wie man sich da auch als Ungläubige diskret einklinken könnte. Immerhin hatte man ja reichlich Zeit, zu beobachten, wie sich „die Anderen“ durch ihre schönste Zeit des Jahres managen. Die zieht sich seit einigen Jahren gummiartig bereits in die warme Jahrezeit hinein. Dieses Jahr konnte ich einen Rekord notieren: Ein Discounter bot schon Ende August Weihnachtsschmuck und Lebkuchen an. Ist das nicht ziemlich meschugge?

Dann die Präsente! Wer zu Weihnachten was wem schenkt, ist offenbar eine elementare Frage. Etwa in der Familie meines Goj-Friends, den ich nicht zuletzt verliess, weil die Weihnachtsfeste so steif abliefen, die Kinder statt Büchern Barbies bekamen und das Essen schlecht war. Sowas gilt unter uns als Todsünde. Einmal legte der Bruder meines alsbald Ex-Goj-Friends eine Kunststoff-Handgranate unter den Weihnachtsbaum, darin ein Herrenduft. Ich war fassungslos. Ist Weihnachten nicht das Fest des Friedens? Solche Geschmacksverstauchung kann eine interreligiöse Beziehungen sehr schnell zerstören.

Überlebenswichtig ist offenbar auch, wer an Weihnachten wohin eingeladen wird und wer nicht. Nun schreibt man depressive Tendenzen ja stets unseren Leuten, zu. Das ist richtig, doch an Weihnachten sind die „Anderen“ diesbezüglich nicht zu toppen. Sie sind deprimiert, wenn sie wo eingeladen werden, weil sie nicht dorthin gehen wollen, und wenn sie nicht eingeladen werden, leiden sie noch viel mehr und geniessen das nicht einmal. Sie fürchten sich vor Familienkrächen am Heiligen Abend. Aber drum lieber fröhlich alleine zu sein, gilt als Katastrophe.

Solch langweiligen Devisen gibt es bei uns nicht. Man ist ja gerne auch mal solo, weil die Mischpoche, die immer und in alles dreinredet, eine nervige Angelegenheit ist. Und an jüdischen Festen gilt Streit und Geschrei und Tränen als normal, vor allem bezüglich des Essen: Ist es gut, ist es besser als letztes Jahr? Warum ist die Gans so zäh? Man droht den Metzger zu ermorden. Wieso machte die Mamme die Mazzeknödel so hart wie Golfbälle? Mutter heult, Vater droht, die Kinder kreischen, die ledigen Tanten nörgeln, Kuppelversuche, den hochbegabten, seltsamerweise noch ledigen Neffen an die hübsche Schickse zu bringen, schlagen peinlich ins Leere, aber all das ist normal, niemand MUSS ja andere lieben.

Natürlich werde ich auch dieses Jahr von den „Anderen“ dauernd mitfühlend gefragt werden, was ich denn an Weihnachten so mache? Früher ging das bei meinen Schulfreundinnen so. Die: „Was machst du an Weihnachten?“ Ich: „Wir wir feiern Chanukka.“ Sie: „Ja schon, aber was macht ihr also an Weihnachten?“ Ich gab klein bei und spielte in den Krippenspielen stolz den Engel im weissen, gestärkten Nachthemd und mit Watteflügeln, durfte genau wie meine Freundinnen falsch blockflöten, also war ich irgendwie auch dabei. Oder doch nicht? Denn beim Hauptpersonal an der Krippe durfte ich nie mitmischen. Fies. Langfädige Erklärungen, wieso ich nicht mit von der Partie sein werde, erspare ich mir also heute lieber, obwohl wir in einer Multikulti-Gesellschaft leben. Geht es um Weihnachten, wird der Blickwinkel nämlich wieder eng. Grund: Die Menschen haben einfach keine Zeit über etwas anderes als DAS Fest nachzudenken. Und soll ich etwa sagen: Tut mir nicht leid, euer meschuggenes Fest geht mich nichts an? Hie und da tue ich das sogar, doch dann denke ich dies: Jetzt in diesen Zeiten, in denen sich die Ethnien längst gemixt haben, sollte man fröhlich „Weihnukkah“ feiern. So haben ja alle etwas: Tanne und Leuchter. Doppelte Geschenkeberge. Dramatik und Depressionen.

Drum auch hier, für Sie alle: Fröhliches Weihnukka und natürlich einen guten Rutsch in ein friedliches 2019!

www.marianneweissberg.ch

(Illu: Ilka Riedler Zimmermann)

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Autor: Marianne Weissberg

Marianne Weissberg, studierte Historikerin/Anglistin, geboren in Zürich, aufgewachsen in Winterthur, ist ganz schön vollreif. Also eigentlich schon ewig da, was sie in ihren Knochen und im Hirn spürt. Lange Jahre verschlang das Lesepublikum ihre wegweisenden Artikel und Kolumnen in guten (und weniger guten) deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen. Persönlichkeiten aus Film, Literatur und Musik wie etwa Robert Redford, Isabel Allende und Leonard Cohen redeten mit der Journalistin, die ganz Persönliches wissen wollte, und es auch erfuhr. Irgendwann kam sie selbst mit einer Geschlechter-Satire in die Headlines und begann in deren Nachwehen ihre zweite Karriere als Buchautorin. Auch hier blieb sie ihrer Spezialität treu: Krankhaft nachzugrübeln und unverblümt Stellung zu beziehen, bzw. aufzuschreiben, was sonst niemand laut sagt. Lieblingsthemen: Das heutige Leben und die Liebe, Männer und Frauen – und was sie (miteinander) anstellen in unseren Zeiten der Hektik und Unverbindlichkeit. Und wenn man es exakt ansieht, gilt immer noch, jedenfalls für sie: Das Private ist immer auch politisch – und umgekehrt.

Sonst noch? Marianne Weissberg lebt mitten in Züri. Wenn sie nicht Kolumnen oder Tagebuch schreibt, kocht sie alte Familienrezepte neu, betrachtet Reruns von „Sex and the City“, liest Bücher ihrer literarischen Idole (Erica Jong, Nora Ephron, Cynthia Heimel) oder träumt davon, wie es gewesen wäre, wenn sie nicht immer alles im richtigen Moment falsch gemacht hätte. Aber das wäre dann wieder so ein Thema für einen neuen Kult-Text.

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