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Heiraten ist bünzlig

Wie die Kinder der Hippies, die so gar nicht wie ihre Väter und Mütter werden wollten und deshalb konservativ wurden, so wollte ich auf keinen Fall so bürgerlich wie meine Eltern sein. In gewissen Dingen waren Sie zwar aussergewöhnlich, so war mein Vater sechs Mal verheiratet. Meine allein erziehende und stets Vollzeit arbeitende Mutter reiste mit mir manchmal Krisengebiete, nur weil es günstiger war, so die Welt zu bereisen. Ansonsten hatten sie sich für ein ziemlich normales Leben entschieden. Wohnen in der Agglo, Arbeit, Kinder, Haushalt, mal Ferien. Sie hatten im ehemaligen, kommunistischen Jugoslawien nicht viel gehabt, weshalb sie sich nach Sicherheit sehnten.

Ich wollte unruhig bleiben, vom einen Tag auf den anderen denken, in der Arbeitswelt von niemandem bevormundet werden. Spät oder gar nie Kinder bekommen, weg aus der Agglo, rein ins turbulente Leben. Ein Leben, wie es die Pariser in meinen Lieblingsbüchern gelebt hatten. Die Bohème, die ewig Alkoholisierten, die One-Night-Stand Bevorzugenden, die Freidenker, die Kiffer, die Aussergewöhnlichen, die Unaufgeräumten. Weit weg von den Zwängen der Gesellschaft. Doch verstand ich damals nicht, dass das immer Gegenteilige von dem zu tun, was alle machen, an und für sich auch ein eigens auferlegter Zwang ohne Ende ist. Irgendwann fand ich es nicht mehr ganz so hip, einfach nur gegen den Strom zu schwimmen ohne dabei zu hinterfragen. Bloss oppositionell zu sein. Ich wurde älter und überlegte, was mich gut fühlen lässt – und was nicht.

Nach jahrelanger Beziehung und Krankheit, die meinen Partner fast das Leben gekostet hätte, will man sich gegenseitig ein Geschenk machen. Ein Geschenk voll von Wertschätzung, Liebe, Anerkennung und Zugehörigkeit. Man sagt: Danke, dass du mir in den schlimmsten Momenten zur Seite gestanden hast. Danke, dass du mit mir ein für uns so wundervolles Leben aufgebaut hast, mich gestützt, geschubst, aufgefangen und mit mir gelacht hast. Wenn ich sterbe oder erbe, sollst du gleichberechtigt sein.

An dieser Stelle soll gesagt sein, dass man sich mit Verträgen zwar gewissermassen absichern kann, dass Lücken im Schweizer System jedoch zu enormen Ungerechtigkeiten führen, weil der Konkubinats Partner nicht als Familienangehöriger zählt. Im Falle einer Trennung allerdings, muss der Ex-Konkubinats Partner für den finanziell Schwächeren mit Unterhaltszahlungen aufkommen, auch wenn man nie verheiratet war. Somit erübrigt sich das Hauptargument vieler Unverheirateter, denn bezahlen müssen sie sowieso. Ausserdem ist die Angst vor der höheren Besteuerung nur bedingt berechtigt. Hat einer der beiden Ehepartner ein niedriges Einkommen, so wird davon ausgegangen, dass der Einkommensstärkere für diesen aufkommt. Somit bezahlt der Besserverdienende automatisch weniger Steuern als vor der Ehe. Hat man sich erst einmal mit der Rechtslage auseinandergesetzt so versteht man: Je nach Lebensmodell benachteiligt das Heiraten nicht mehr, als es dies das Konkubinat tut.

Ehe-Gegner lieben es damit zu argumentieren, dass Heiraten für Sicherheit, Verpflichtung und Mittelmass steht. Unverheiratet = aufregend, verheiratet = langweilig. Sie denken, mit der Heirat werde automatisch eine Kettenreaktion hervorgerufen, die von der Hypothek, über das Häuschen mit Garten zu Kindern führt. Sie legen genau dieses einseitige, totalitäre Denken an den Tag, welches sie den Verheirateten aber immer wieder vorwerfen.

Ist Heiraten nicht eine Momentaufnahme? Etwa eine Art „Live For The Moment“? Ist Heiraten nicht Rock‘ n Roll? “You Only Live Once”? Manchmal eine Kurzschlussreaktion, ein unüberlegter Akt, aber immer ein sich-vom-Gefühl-überwältigen-lassen? Eine riesige romantische Hoffnung, ein verträumter Blick in die Zukunft, ein nicht-mehr-rational-denken und drauflosrennen?

Wieso manche Menschen immer wieder heiraten fragt man sich. Denselben Fehler immer wieder begehen. Weil es nun eben kein Fehler sondern eine Lebenserfahrung ist. Verheiratete und Geschiedene erklären, man erlebe eine Verbundenheit, die man sonst in keinem Stadium des Konkubinats erreichen könne. Und dass sie immer wieder heiraten würden. Weil es wundervoll ist, sein Gegenüber so zu lieben und zu fühlen, dass man es nicht mehr loslassen möchte. Eine eigene Familie zu gründen, in der alle noch obendrauf einen gemeinsamen Namen tragen und nach aussen klar als Familie erkennbar sind.

Ich sage nicht ja für immer. Ich sage ja zu unserer Vergangenheit und unserem Jetzt. Ich wünsche mir, dass unsere Zukunft genauso schwierig und fantastisch wird wie unser Leben bis anhin. Ich sage ja dazu, dass wir die Karten immer wieder neu mischen und uns gemeinsam und alleine weiterentwickeln, niemals stehen bleiben. Es muss nicht ewig dauern – sondern nur so lange wir es wollen.

Ich habe mich für die Ehe, den Weg der gesellschaftlichen Norm entschieden. Weil ich überzeugt bin, dass Wiederstand zwar immer sein muss, doch nicht ewig und nicht mehr, wenn das Herz plötzlich anders zu einem spricht. Auch wenn dies bedeutet, dass man der Allgemeinheit nachgegeben hat. Was man aus diesem Bündnis macht, ist schlussendlich so individuell wie jede Beziehung.

Ein Hoch auf den kurzen Moment, in dem man denkt, man werde für immer zusammen bleiben. Ein Hoch auf Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung. Ein Hoch auf das wundervolle Gefühl der Zugehörigkeit. Auch wenn –  in den meisten Fällen nur auf Zeit.

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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