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Es gibt kein anderes, „besseres“ Leben!

Ich folge seit längerer Zeit dem Blog The Happy Hausfrau. Dahinter steckt eine sehr talentierte Jenny aus Minnesota. Geschiedene Mom von vier Kindern, die seit dem Start ihres Divorced-Mom-Blogs, anno 2010, gewachsen/erwachsen wurden, gemeinsam mit Jenny den Abgang von Ehemann und Dad verkraften, beziehungsweise überleben mussten. Dad liess sich nämlich mit seiner Sekretärin ein, zog Hals über Kopf aus und liess Jenny mit keinem Einkommen und Bergen von Problemen zurück. Mittlerweile hat Ex-Dad neue Kids gezeugt, wohnt in einem grossen Haus und betreibt seine Ex-Familie nur noch als eher lästiges Hobby. In vielem konnte ich mich wiedererkennen. Was mir an diesem Blog gefiel war, aussser der ganz tollen Schreibe, war das Aufgreifen von Tabus: Armut inmitten von Wohlstand, Seelenschmetter, während rundherum so getan wird, als ob das Leben nonstop superhappy sein soll, wer das nicht kann, ist eben eine Niete. Sie schrieb über kleine Episoden, wie sie sich heruntergesetzt fühlte, durch taxierende Blicken von Nicht-Divorced-Moms, wie sie heulend auf offener Strasse im Auto sass, nachdem sie ihren Ex mit seiner neuen Familie gesehen hatte. Am liebsten las ich jedoch ihre Stories, die sich um Walter, den gelben Labrador aus dem Tierheim geholt, drehten. Wie er schnarchend auf dem Sofa liegt, oder sie anbetend ansieht. Und diese kleinen Augenblicke ihr Trost spenden. Kurz, ich liebe Jennys Blog. Wenn sie noch schreibt, denn genau wie ich, wird sie vom echten Leben eingeholt. Und dann hat man keine Lust, keine Energie oder irgendein sonstiges Problem, dass sie und mich vom Schreiben abhält.

Deshalb beschloss Jenny, wie sie mitteilte, sich der novemberlichen Blog-Challenge, die scheints in den USA stattfindet, also pro Tag ein Post zu bloggen, zu stellen. Ich freute mich. Es kamen wirklich einige Beiträge, doch danach Stille. Schade, dachte ich. Vielleicht wäre ich durch sie, die ferne und mir doch längst gut bekannte Bloggerin inspiriert worden, auch mehr zu bloggen, huch sogar täglich… Jedenfalls merkte ich, dass diese Challenge nicht so ganz klappte, stattdessen las ich kürzlich ihre Thanksgiving-Story auf ihrer Facebook-Seite. Es ging um das tiefe Bedauern, dass ihr alter Ego, jene einst happily married Jenny, es nicht geschafft hatte, jenes intakte und mit Wohlstand berieselte Leben zu halten. Was hatte sie falsch gemacht?, was hätte sie tun können, um jene andere Frau zu bleiben? Wäre das nicht schöner, besser, gesünder gewesen für sie und die Kinder? Da knackste etwas in mir, und ich dachte: Womöglich sollte sie endlich über andere Themen bloggen als über ihre Scheidung. Und womöglich gab es gar nie eine andere Jenny. Und das schrieb ich dann in einem Kommentar. Sie antwortete sehr herzlich, schrieb, sie wisse, was ich meine, aber sie sähe es als Aufgabe, weiterhin mit Scheidungs-Erinnerungen andere Divorced Moms zu trösten.

Das mag sein. Trotzdem hoffe ich, dass ihr Schreibtalent sich getraut, auch neue Kontinente zu beschreiben. Ich persönlich glaube, dass das Festhalten an „was wäre gewesen, wenn….“-Szenarien, plus „es war/ist alles seeehr schrecklich“ ein bisschen destruktiv sein kann. Es zementiert die Vermutung, dass man bloss Second Best ist. Und man sucht nach Beweisen, dass dies die Wahrheit ist. Beweis: Gestern googelte ich einen alten Schwarm, der mich zweimal stehen liess, um etwas Besseres zu kriegen. Als ich die detaillierten News um seine werte Person las, stiegen gleich Szenarien von Romantik, Reichtum, Ruhm auf. Wieso die – und nicht ich? Und dann dachte ich, bist du eigentlich meschugge, da wieder rumzugoogeln? Du hast kein Leben in einem Parallelunivesum, das dir demonstrieren könnte, wie jene bessere Marianne es romantischer, reicher, ruhmvoller hätte managen können, um dann unglaublich glücklich, etc. blablabla zu werden. Du lebst das Leben hier und jetzt, und in dem machst du vieles sehr gut, einiges ist eben ganz normal trübe. Einiges kannst du ändern, manches nicht. Oder doch?

Zum Beispiel, das mit meinem Drucker, der gestern tonermässig schlapp machte, obwohl er einige Seiten des Romanmanuskriptes, an dem ich arbeite, noch nicht ausgedruckt hatte. Ich ärgerte mich, dann noch mehr, als ich merkte, dass ich dreissig Seiten doppelt ausgedruckt hatte. So ein Schmarren, dachte ich, wieso bist du zu blöd, zu checken, was schon gedruckt ist, was nicht. Jetzt musst du Toner zu deinem alten Drucker bestellen, aber du hast vergessen, wo es den gibt. Tja, dann kannst du eben vorläufig (äh lange) nicht mehr weiterschreiben… Und ich versank in Trübsal: Wäre ich klüger, erfinderischer, nicht so ein Phlegma, wäre so ein Tonerproblem eben gar keins. Dann erinnerte ich mich an meine drei Romanheldinnen – Doro, Lotti und Winnie – was denen so alles passiert, und was ich noch ausdenken könnte, und ich bedauerte, sie auf der Bühne untätig stehen zu lassen. Also googelte ich wieder ein wenig und stiess problemlos auf eine Toner-Bestellmöglichkeit, bestellte genauso problemlos, was sogar Spass machte und fühlte mich sehr effizient und fröhlich. Womöglich auch dank der beiden mürben Marmormuffins, die ich so ganz nebenbei gebacken hatte.

Das meine ich mit dem anderen, besseren Leben, das gar nicht existiert hat, nie stattfinden wird. Wir leben das Leben, das uns auf den Leib geschneidert ist. Oft zähneknirschend. Und in diesem echten Leben könnten wir, ich, für einiges dankbar sein, auch wenn es kleine Dinge sind. So wie das erfolgreiche Bestellen des Toners, was mich dann zum Weiterschreiben animiert, was andere beim Lesen erfreut, usw. Und damit gebe ich ab zu Jenny. Ich will wissen, was Walter so macht, ihr und meine Exe sind daneben bloss Second Hand!

www.marianneweissberg.ch

Fotos: Mein Feigenbaum, den ich aus einer Gärtnerei vor vielen Jahren evakuierte, wo er vor sich hin vertrocknete, hat hier beileibe keinen reichen Boden, doch jeden Herbst, wenn er seine Blätter verloren hat, erstaunt er mich durch sein beinahe schon trotziges Knospen in Hinsicht auf den noch fernen Frühling. Das nenne ich Resilience!

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Autor: Marianne Weissberg

Marianne Weissberg, studierte Historikerin/Anglistin, geboren in Zürich, aufgewachsen in Winterthur, ist ganz schön vollreif. Also eigentlich schon ewig da, was sie in ihren Knochen und im Hirn spürt. Lange Jahre verschlang das Lesepublikum ihre wegweisenden Artikel und Kolumnen in guten (und weniger guten) deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen. Persönlichkeiten aus Film, Literatur und Musik wie etwa Robert Redford, Isabel Allende und Leonard Cohen redeten mit der Journalistin, die ganz Persönliches wissen wollte, und es auch erfuhr. Irgendwann kam sie selbst mit einer Geschlechter-Satire in die Headlines und begann in deren Nachwehen ihre zweite Karriere als Buchautorin. Auch hier blieb sie ihrer Spezialität treu: Krankhaft nachzugrübeln und unverblümt Stellung zu beziehen, bzw. aufzuschreiben, was sonst niemand laut sagt. Lieblingsthemen: Das heutige Leben und die Liebe, Männer und Frauen – und was sie (miteinander) anstellen in unseren Zeiten der Hektik und Unverbindlichkeit. Und wenn man es exakt ansieht, gilt immer noch, jedenfalls für sie: Das Private ist immer auch politisch – und umgekehrt.

Sonst noch? Marianne Weissberg lebt mitten in Züri. Wenn sie nicht Kolumnen oder Tagebuch schreibt, kocht sie alte Familienrezepte neu, betrachtet Reruns von „Sex and the City“, liest Bücher ihrer literarischen Idole (Erica Jong, Nora Ephron, Cynthia Heimel) oder träumt davon, wie es gewesen wäre, wenn sie nicht immer alles im richtigen Moment falsch gemacht hätte. Aber das wäre dann wieder so ein Thema für einen neuen Kult-Text.

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