Für jene, die aufgebrochen, für jene, die hier geblieben sind.
Der Todesbrief liegt auf dem Frühstückstisch. Er ist weit gereist. Von Maschinen und Menschen befördert, die das Gewicht der Botschaft nicht erkennen konnten. Für sie hat nur die Adresse eine Rolle gespielt. Zudem die Postleitzahl und der Absender.
Am Ende habe es sich um ein schmerzfreies Einschlafen gehandelt, steht da geschrieben. Als ob wir dies wissen könnten. Was geschieht in jenem Moment, in dem unsere Seelen-Nussschale über den Jordan gleitet?
Schmerz? Befreiung? Nichts? Wir können es alle nicht sagen. Trostfloskeln sind Zauberworte, die uns über das Unsagbare hinweg tragen sollen.
Doch können sie das wirklich?
Ich weiss nur, dass da furchtbare Schmerzen waren. Einige elende Wochen lang. Vor dem letzten Einschlafen. Ich weiss, dass dieser Körper langsam zerfressen wurde. Von innen heraus. Vor dem Abschied. Fast bis zur Unerkenntlichkeit. Dieser Körper, den ich einst so siedend heiss begehrt habe.
Abgemagert zu knochigen Greifern, waren die Hände, die mich einst gestreichelt, später dann jenes Messer geführt haben, das diese Narbe verursachte, welche heute noch auf meiner Brust zu sehen ist. Sie ist nun zu einem Memento geworden. Diese Zunge, die mich liebkost und verletzt hat, wird nie mehr schlagen, die Glocke deiner Stimme nie mehr erklingen, deine Lippen, zugeklebt von einem Leichenkosmetiker, werden sich nie mehr öffnen.
Still und starr ist der Tod.
Haben sie den Briefumschlag und das Druckerpapier, die sie für den Todesbrief verwendeten, bereits gekauft, als du noch am Leben warst? Vielleicht hast du diese Dinge ja selber noch gekauft. Bevor du ins Bett gesunken bist und nicht mehr aufgestanden…
So jung. So traurig.
Gebrauchsgegenstände. Achtlos erstanden. Ohne jegliches Wissen darum, dass sie bald als Träger jener Nachricht taugen würden, die nun deinen endgültigen Aufbruch verkündet.
Kurz und heftig war die Krankheit über dich hergefallen. Unerwartet. Wie Sichelstiche aus dem Schattenreich, gelenkt von Dämonen, die immer hinterrücks agieren. Da war keine fristgerechte Prognose, die ein, zwei Jahre – oder so – für Vorbereitungen übrig gelassen hätte. Aber was ist schon eine angemessene Vorbereitungszeit, wenn es um den letzten Abschied geht?
Was sollen wir den Toten nachrufen? Viel Glück? Ruhe in Frieden? Adieu? Auf Wiedersehen? Oder sollen wir einfach schweigen?
Sind unsere Toten die armen Toten oder die glücklichen?
Ich habe dich gut gekannt. Dies durchaus auch im biblischen Sinne. Durch alle deine Türen durfte ich eintreten. Die materiellen und die immateriellen. Du hast mich einst angezogen und abgestossen.
Lange ist es her.
Doch nun liegt da dieser Todesbrief. Auf dem Frühstückstisch. Habe ich ihn sieben Mal gelesen? Zehn Mal? Zwölf Mal? Nun ringe ich um eine Antwort. Ich werde dann wohl eine schreiben. Müssen.
Obwohl ich weiss, dass es keine adäquaten Antworten geben kann. Auf Todesbriefe.
Wenn du deine linke Hand ausstreckst. Ins Reich der Toten. So wird sie vielleicht plötzlich ergriffen. Von einer unsichtbaren Hand, die stark ist, so unglaublich stark. Und dich hinüberzieht. Ins Irgendwo, ins Nirgendwo, das auf uns alle wartet. Am Ende unserer Zeit.