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Die Angst in den Händen

Nein, ich habe wirklich nicht aufgepasst, als du mir deine Angst gabst. Jetzt halte ich sie in meinen Händen. Sie ist kalt und klein, dafür hat sie ein Herz aus Stein. Sie hat ein hartes, wütendes Herz und sie flüstert und sie raunt, wie ein bösartiger Wind auf einem gefrorenen Stern. Sie kennt deine Albträume, sie weiss von Orten, so tief in dir versteckt, dass dir nicht viel mehr bleibt, ausser blinder, hilfloser Wut. Aber niemand weiss, wann du so wütend geworden bist.

Die Worte sind immer wieder die gleichen, Mutter, Vater. Keine Zeit, keinen Raum zu verzeihen. Nur Abrechnungen, nur noch mehr Angst. Nur eine Sicherheit, das Versprechen des kleinen hässlichen Dings, dass du sicher wärst, solange du es behälst. Aber das Ding in meinen Händen sieht hässlich aus.

Als du mir deine Angst gabst, habe ich nicht aufgepasst. Nun halte ich sie in meinen Händen und weiss nicht, was ich mit ihr tun soll. Plötzlich habe ich Angst vor deiner Angst, obwohl sie nicht meine ist. Ich halte sie in meinen Händen, du hast sie mir gegeben und sie möchte, dass du alleine bist. Sie ist unersättlich, sie möchte, dass du dich fürchtest, sogar vor meinen Händen, dass du zitterst vor Bomben, die Nordkorea noch nicht erfunden hat, sie möchte, dass du glaubst, dass du nie mehr Arbeit finden wirst, weil du es nicht wert bist.

Deine Angst hat nicht viel Fantasie. Aber sie ist alt, sie weiss, wie man das macht und sie kennt keine Zweifel. Sie mag Wut, Einsamkeit und das du auf den Schwächeren losgehst. Es ist kein Ding. Sie ist nicht anspruchsvoll. Sie weiss es funktioniert. Hauptsache, irgendeiner, irgendeine gibt dem Nächsten Shit. Der grosse Bogen ist ihr eigentlich egal. Sie muss ja nicht clever sein.

Ich halte deine Angst in meinen Händen. Sie ist klein, stark und hart. Sie ist nicht meine Angst, aber ich weiss nicht, was ich mit ihr soll. Ich möchte sie dir nehmen, aber ich weiss nicht wie. Sie will mir von dir erzählen, sagen wie feige du bist, und nie mit klarkommen wirst, sie flüstert, du wirst immer wütend bleiben, sie wispert, dass du immer davonrennen wirst. Sie raunt, dass du nicht anders können wirst. Sie will, dass du glaubst, dass dich niemand lieben kann. Niemand.

Sie kennt den dunklen, unendlichen Abgrund, in den du fallen kannst. Sie sagt und sie sagt es immer wieder: Ihr habt Angst und darum müsst ihr Angst haben und du musst mich behalten, obwohl ich nicht deine Angst bin. Sie sagt, vergifte den Kirschbaum, hasse deinen Nächsten, kritisiere ihren Hintern. Denn sonst, sonst bist du alleine. Sonst hast du nicht mehr einmal mich: Deine Angst.

Als du mir deine Angst gabst, habe ich nicht aufgepasst. Eine Weile lang habe ich sie in meinen Händen gehalten. Aber dann nicht mehr. Ich warf deine Angst weg. Und meine. Ich werde deinen Hintern nicht mehr kritisieren können. Die Sicherheit immer auf irgendetwas, auf irgendjemand anderen wütend zu sein, wird fehlen. Aber wenn du willst, können wir uns die Hand geben. Und das wird so sicher sein, wie die Angst in den Händen zu halten.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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