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Ausgelounged!

Vorhin wurde mein bestes Designerstück aus der Wohnung getragen. Ich strich nochmals über das feine Leder der Rückenlehne und wünschte meinem Eames Lounge Chair eine gute Fahrt und auch ein schönes, neues Plätzli. Zehn Jahre lang sass ich, wenn ich an einem Roman schrieb, in dem Sessel und las jeden Morgen den Output des Vortages. Es war ein Ritual, das ich bis gestern beibehielt. Heute, als er bereits mit einem schützenden Tuch bedeckt auf den Käufer, ein Möbelhaus für Vintage Designmöbel, wartete, sass ich zum ersten Mal auf meinem Sofa um die gestrigen Seiten zu lesen.

Ich schaute auf die Leere vor mir und war froh. Erstens, dass ich einen sehr fairen Käufer gefunden hatte, zweitens, dass ich mich nun nicht mehr zugemöbelt fühlte. Denn so ein Sessel mitsamt Hocker braucht viel Platz und Luft drumherum, um zu wirken. Und das habe ich in meiner jetzigen Bleibe nicht. Für alles, was ich anschaffe, muss etwas weg. Vorzugsweise wieder in den Kreislauf, den gute Möbel antreten können. Billiger Schmarren nicht. Der geht kaputt. Also überlege ich gut, was ich hier überhaupt noch brauche. Meine Devise war ja immer: Ein schöner Tisch (habe ich), ein gemütliches Bett (okay), ein luftiges Bücherregal (vorhanden), ein schöner Sessel (soeben von mir gegangen). Dazu noch dies und das und jaa keine Dekoration. Ich kannte eine Trulla, die hatte jeden Platz ihres Hauses mit diesen Dekoartikeln, die zu jeder Festtagssaison in den Läden spriessen, vollgemüllt. In ihrem Kopf hatte sich das bereits bemerkbar gemacht, sie war dauernd sturm und machte alle anderen dafür verantwortlich, statt mal auszumisten. Haus und Kopf.

Mein Lounge Chair war lange ein Traum. Ich fand ihn so bedeutungsvoll und mondän, und als ich in ein Atelierhaus Nähe Bodensee zog, kratzte ich meine Ersparnisse zusammen und bestellte ihn bei einem guten Möbelhaus. Als er geliefert wurde, war er für mich wie ein Symbol des Neuanfangs. Zuvor hatte ich einen Mann in die Wüste geschickt, und ich konnte endlich für mich sein und war all seinen Krempel, mit dem er unsere Beziehung zugepflastert hatte, los. Im neuen Haus standen praktisch keine Möbel, nur dieser Sessel, zmitzt drin. Ich glaube, dort hat es ihm am besten gefallen. Ich war auch sehr raffiniert, um ihn vor erdigen oder sirupigen Kinderpfoten zu schützen. „Das ist ein Zauberstuhl, und wenn du da reinsitzt, wirst du weggezaubert, huhuhu“. Es wirkte, keine Teppichratte setzte sich freiwillig in dieses gefährliche Ding.

Als ich wieder von dort auszog, ein bisschen Umziehkarrusell machte, kam der Lounge Chair immer mit. Erst fand er eine passende Bleibe in einer kleinen Loft in Zürich, aus der ich dann recht fix wieder auszog. Die Gründe findet man in meinem Kochgeschichtenbuch „Schokoladenpudding für die Seele. Meine wunderbare Krisenküche“. Darauf stand er eingeklemmt in meinem Schlafzimmer in einer WG, bis ich mich und ihn von dort evakuierte. Dann thronte er mit Blick auf den Zürich-See in einer ziemlich popeligen Übergangswohnung, deren einziges Plus eben der tolle Blick auf den See war. Und schliesslich landete er mit mir wieder in Zürich, in der jetzigen Wohnung. Bis dahin hatte ich mein Ritual des loungigen Manuskriptlesens beibehalten. Bloss, hier war er irgendwie fehl am Platz, zu gross, zu männlich dominant, zu schwarz, zu ledrig. Der Chair stand in der Wohnung mal hier mal da, mal dort, er landete sogar eine Weile im Keller, zugedeckt. Und ja, es machte mir in letzter Zeit nicht mehr viel aus, wenn Kinderpfoten an ihm tatschten oder feuchtbewindelte Kinderfudis auf ihm herumturnten.

Ich hatte mich nämlich seelenmässig längst von ihm gelöst. Ausgelounged. Und als ich kürzlich in der Stadt spazierte, betrat ich den erwähnten Laden und bot meinen Chair mit Ottoman spontan zum Verkauf an. Es klappte, und nun ist er weg. Ich denke, es wird so ein Bänker mit einer tennishallengrossen Wohnung sein, der ihn kauft. Oder wieder eine Kreative, die sich in ihm mit ihren Werken niederlässt. Tantpis. Man kann sich nämlich auch von einem Möbelstück entlieben, und dann muss man es gehen lassen. Aber ich bin doch etwas überrascht, wie leicht es mir fiel. Vollreife?

Foto: Einblick in meine verflossene Grosseshaus-Ära….

www.marianneweissberg.ch

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Autor: Marianne Weissberg

Marianne Weissberg, studierte Historikerin/Anglistin, geboren in Zürich, aufgewachsen in Winterthur, ist ganz schön vollreif. Also eigentlich schon ewig da, was sie in ihren Knochen und im Hirn spürt. Lange Jahre verschlang das Lesepublikum ihre wegweisenden Artikel und Kolumnen in guten (und weniger guten) deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen. Persönlichkeiten aus Film, Literatur und Musik wie etwa Robert Redford, Isabel Allende und Leonard Cohen redeten mit der Journalistin, die ganz Persönliches wissen wollte, und es auch erfuhr. Irgendwann kam sie selbst mit einer Geschlechter-Satire in die Headlines und begann in deren Nachwehen ihre zweite Karriere als Buchautorin. Auch hier blieb sie ihrer Spezialität treu: Krankhaft nachzugrübeln und unverblümt Stellung zu beziehen, bzw. aufzuschreiben, was sonst niemand laut sagt. Lieblingsthemen: Das heutige Leben und die Liebe, Männer und Frauen – und was sie (miteinander) anstellen in unseren Zeiten der Hektik und Unverbindlichkeit. Und wenn man es exakt ansieht, gilt immer noch, jedenfalls für sie: Das Private ist immer auch politisch – und umgekehrt.

Sonst noch? Marianne Weissberg lebt mitten in Züri. Wenn sie nicht Kolumnen oder Tagebuch schreibt, kocht sie alte Familienrezepte neu, betrachtet Reruns von „Sex and the City“, liest Bücher ihrer literarischen Idole (Erica Jong, Nora Ephron, Cynthia Heimel) oder träumt davon, wie es gewesen wäre, wenn sie nicht immer alles im richtigen Moment falsch gemacht hätte. Aber das wäre dann wieder so ein Thema für einen neuen Kult-Text.

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