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Männer ohne Frauen

Es sei das «grosse» Projekt und es sei endlich endgültig fertig, meinte Frank und lehnte sich lässig an die Bar, während er sich selbst durch den Dschungel der Schnapsflaschen im Spiegel betrachtete. Die Antwort auf ein achtlos hingeworfenes «wie geht es denn so?» konnte fast nicht ausführlicher ausfallen.

Am Tresen starrten die Gäste in ihre Handys und hüteten am Vorabend ihr Bier. Noch war nicht viel los und manchmal sprach die Serviertochter mit dem einen oder anderen Gast. Schnell sollte klar werden, dass Frank eine Webseite eröffnet hatte, auf der allerlei Fotos von Oldtimern zu sehen waren. «Das ist ein Rolls Royce», sagte er mir und hielt mir sein I-Phone unter die Nase. «Das wird eine ganz grosse Sache», erklärte er und erwartete Beifall. Er thronte über mir und ich nickte beifällig, obwohl es kaum etwas gab, was mich weniger als Autos interessierte. Naja, Fussball vielleicht, aber da wusste Frank natürlich ebenfalls Bescheid, welcher Spieler nun verwöhnt und welcher Trainer nun ein Depp sei.

Als ich ihn vor einigen Jahren kennengelernt hatte, war es ihm besser gelaufen. Offensichtlich war er auch weniger zornig gewesen. Damals vermochte er es, Verständnis für andere Menschen aufzubringen. Und noch war nicht jede Frau eine Bordsteinschwalbe. Manchmal, wenn er von seinem Geschäft erzählte, von seiner damaligen Freundin blitzte vielleicht etwas Arroganz durch, aber die Dinge waren noch nicht aus dem Ruder gelaufen. Jetzt war es mitten im Winter und die etwas älteren Semester setzten sich schon etwas früher an den Tresen, so als wollten sie den endgültigen Einbruch der Dunkelheit draussen nicht verpassen. Hier sassen sie nun mit einem Becher oder einem Grossen und hofften, dass Alkohol etwas Abwechslung brächte.

Es war vielleicht ein halbes Dutzend Leute, das regelmässig kam und sich zunickte, um dann weiter am dicken, kalten Glas zu drehen.

Frank dagegen, er hatte Pläne und war sauer. Vor zwei Jahren hatte er seine Freundin verlassen. Geredet hatten sie da schon seit Monaten nicht mehr und schliesslich war er einfach ausgezogen. Ohne ihr etwas zu sagen, ohne ihr seinen Beitrag an die Miete dazulassen. Am Tresen wusste niemand, ob es sie je gestört hatte, oder ob sie nicht doch eher froh gewesen war, dass er endlich weg war.

Er selbst konnte es auch nicht sagen, da er ja nicht mehr mit ihr geredet hatte.

Kurz zog er seine Hand zurück, um mir einen Bentley zu zeigen. «Das ist das grosse Geschäft, die Leute können hier ihre Autos, ihre Oldtimer vermitteln, verstehst du das, oder bist du zu doof.» Bereitwillig gab ich zu, ich sei zu doof, hätte von Autos keine Ahnung und auch nicht die Absicht, mich jemals dafür zu interessieren. Einen Augenblick lang war Frank abgelenkt, Nathalie brachte einige Schüsselchen aus der Küche nach vorne und er musste sie sofort anlabern. Die nicht mehr ganz junge Frau nickte nur und brummelte etwas. Das gehörte hier zum Job. Obwohl die Reihe von Männern sonst ganz in Ordnung war, kamen dümmliche Kommentare zur Kleidung einer Serviertochter schon manchmal vor. Da war dann auch einer, der – sobald es später wurde und er schon einige Drinks intus hatte –  anfing die Arschformen der Frauen zu kommentieren und das war immer der Moment, in dem man wusste, es war höchste Zeit nach Hause zu gehen.

Im Grunde genommen waren das aber Ausrutscher.

Wieder tanzte eine alte Karre vor meiner Nase, mein Bier war leer und hilfesuchend sah ich mich nach Nachschub um. «Das ist ein MG», sagte Frank stolz, sah kurz auf mich herunter, um sich dann abermals im Spiegel zu bewundern. Verblüfft stellte ich fest, dass ich auf das Foto eines Schrotthaufens starrte. Immer noch überrascht starrte ich auf die hintere Seite von Franks dunklem Jackett, da er sich umgedreht hatte, um noch ein Bier zu bestellen. Nach einem weiteren prüfenden Blick in den Spiegel sah er wieder auf mich hinunter und ich sagte: «Die Karre da sieht aber nicht gerade gut aus, sie ist ein Schrotthaufen.»

Ich stand von meinem Barhocker auf, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Es war nie sicher, wie gut er Kritik aufnehmen würde.

In den letzten Jahren war es nicht gut gelaufen. Seine Ideen waren grundsätzlich nicht schlecht, irgendwie gingen seine Pläne aber immer schief. Ich erinnere mich noch gut, wie er eines sonnigen Nachmittages bei einem Kaffee gesagt hatte: «Du musst Druck machen, so richtig Druck machen, sonst geht es nicht. Es geht um zeitkritisches Management.» Genau hatte ich nie verstanden, was damit gemeint war, das «zeitkritische Management» führte jedoch dazu, dass aus der Geschichte einfach nichts wurde, da seinen Geschäftspartnern der Druck schnell zu viel geworden war. Ein weiteres Mal sprach er davon, seine Leute müssten «Gas und nochmals Gas» geben, wenn sie dann völlig fertig vom vielen Gas geben wären würde er sie dann schon zu einem Bier einladen. Nur einer trank schon früh am Nachmittag und gab höchstens dabei Gas oder gar zu viel «Gas»: Frank.

Diesen Widerspruch liess er aber nicht gelten, da er sich immer als grossen Boss oder mindestens etwas Besseres ansah. Nun hockte er also in dieser Bar und bewunderte sich selbst im Spiegel. Die Misserfolge gaben ihm Recht.

Er hielt mir ein weiteres Bild von einem weiteren Schrotthaufen unter die Nase: «Schau mal, ein Jaguar», das einst stolze Gefährt sah so aus, als würde man ihm einen Gefallen tun, wenn man es endlich in die Schrottpresse schieben würde. Nathalies Schicht war fertig, sie setzte sich neben mich. Sie erzählte gerne von ihrem vierjährigen Sohn und trank noch einen Kaffee, bevor sie nach Hause ging.

Frank hatte schon wieder ein volles Glas vor sich und suchte auf einem Handy wohl nach einem weiteren Schrotthaufen, obwohl es nur schwer vorstellbar war, dass er einen noch kaputteren Wagen finden könnte. Nathalies Sohn zeichnete ihm Moment gerne und ging auch viel mit Papi raus. Sie übten Velo oder Trottinett fahren. Neben mir wurde Frank nervös. Immerhin war die Schrott-Oldtimer-Webseite fertig. Erneut stand das grosse Geschäft unmittelbar bevor. Mit sonorer autoritärer Stimme erklärte er ziemlich laut: «Der gute Verkäufer muss Bedürfnisse schaffen, von denen du nicht wusstest, dass du sie hattest.»

Obwohl von Nathalie abgelenkt, gelang es mir auf diese seltsame Weisheit nicht zu reagieren. Jeder normale Mensch hätte erwidert, dass es wohl keinen Verkäufer geben würde, der das Bedürfnis nach Altmetall und Schrottautos erzeugen könne.

Am nächsten Abend war Nathalie nicht da.

Frank sah schon etwas angeschlagen aus und es war etwas früher als sonst, so dass er fast alleine an der Bar sass. Ich grüsste unverbindlich in die Runde und fühlte mich traurig, dass ich auch hier angekommen war. Immerhin würde niemand einen Vortrag über die verschiedenen Arschformen von Frauen halten. Es war Winter, kalt und die Dinge liefen bei mir nicht besonders gut. Schon wieder tanzte Franks I-Phone vor meinen Augen. Ein Facebook-Post. Die Fotos einer Hochzeit. «Diese Hure!», meinte Frank. Ich erkannte seine Ex-Freundin. Diejenige, mit der er fast zwei Jahre lang nicht mehr geredet hatte. «Nächsten Frühling hätte ich sie heiraten wollen.»

«Ihr habt zwei Jahre lang nicht miteinander geredet und ein Jahr davon habt ihr zusammen gelebt und jetzt willst du sie heiraten.»

«Diese Hure! Sie hatte sicher schon vorher etwas am laufen.»

«Du hast sie doch sitzengelassen, bist einfach ausgezogen, hast nicht mit ihr geredet. Wenn sie nach so langer Zeit heiratet, darfst du dich eigentlich nicht beklagen.»

«Der arme Kerl, sie hat ihn sicher in eine Falle gelockt. Das macht sie immer so.»

Ich war verwirrt und vermisste Nathalie. Die Sache mit der Hochzeit ging mir auch nicht in den Kopf, so setzte ich mich gar nicht erst auf den Barhocker.

Frank sah mich zornig an. Klar, ich war zu dumm, um das zu verstehen. Er erklärte: «Du bist auch einer dieser Naivlinge, die immer von den Weibern an der Nase herumgeführt werden. Die nutzen dich aus, die gehen mit anderen ins Bett, während wir …»

«Hast du nicht mit einer anderen rumgemacht, während du mit ihr zusammen warst?»

«Ich war nur mit ihr zusammen, weil meine Mutter das wollte und meine Mutter ist schon sehr alt und noch die einzige Verwandte, die ich habe.»

Jetzt setzte ich mich ermattet doch. Was ich lieber nicht hätte tun sollen, genauso wenig, wie ich hätte fragen sollen, ob er denn sicher sei, dass sie etwas mit einem anderen gehabt hätte, sonst hätte es ja keinen Sinn eifersüchtig zu sein.

«Diese Nutte. Sie ging immer in ihre Kirche. Ich habe alles für sie getan …» Jetzt flippte er richtig aus. Die kalte Luft war wie der Vorbote des nächsten Gastes, der sich umsah, bevor er sich auf seinen gewohnten Barhocker setzte und nickte, als ihm die Serviertochter ein Bierglas zeigte.

«Im Frühling hätten wir geheiratet…»

«Sie wusste nicht einmal, dass du sie heiraten wolltest.»

Seine Augen blitzten und er suchte sie verzweifelt zwischen dem Gin und dem Wodka im Spiegel: «Es ist eine Falle, immer wollen sie, dass du sie heiratest. Sie legen dich immer rein.»

Ich wandte ein, dass sie vielleicht mehr wollten, etwa dass man mit ihnen redet und nicht einfach die halbe Wohnung leer räumt. Die nächsten Minuten brachten kalten Wind und einige Typen, die noch älter als Frank und ich waren. Frank wurde abgelenkt durch die Serviertochter, deren Namen er sich nicht merken konnte, so dass ich mich in die Nacht davon schleichen konnte.

Ein paar Tage lang trank ich das Feierabendbier zu Hause.

An einem Freitag kehrte ich schliesslich  in die Bar zurück. Weder Frank noch Nathalie waren da. Nur die traurige Reihe von mittelalten und älteren Männern ohne Frauen. Die Schnapsflaschen und der grosse Spiegel hinter dem Tresen verbreiteten ein schummriges, wehmütiges Licht. Mein Bierglas sah einsam aus. Aber ich erinnerte mich an das Versprechen von Sommernächten, an lange Spaziergänge unter dunklen Bäumen. Scheue Küsse auf wackeligen Brücken. Nur Erinnerungen, aber OK. Irgendwann kam Nathalie, irgendwann Frank. «Diese Nutten», sagte er und erzählte, er habe mit drei Frauen etwas, die alle ihre Männer betrügen würden. Er sei immer dafür da.

Auch seine Ex-Freundin habe ihren Mann mit ihm betrogen. Nathalie war nicht anders als sonst. Mein Glas war noch halbvoll und sah immer noch einsam aus. Aber ich liess es da. Die Nacht war etwas kälter geworden.

Bild Wikimedia.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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