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Sara

Ich weiss nicht mal, ob du Sara heisst. Weiss nicht, ob es dich gibt, ich dich finden könnte, trotzdem möchte ich dir schreiben, auch wenn die Hoffnung klein ist, dass du oder überhaupt jemand es jemals lesen wird.

Am Ende bleibt nicht viel, ausser die Dinge direkt zu sagen. Manchmal, wenn ich zur Arbeit gehe, oder im Supermarkt in der Schlange stehe oder beim Self-Check-Out den Käse zwei Mal einscanne, frage ich mich, wie ich hier gelandet bin. Umgeben von Leuten, gefangen im immer gleichen Rattenrennen, das nie endet und vielleicht noch schneller wird.

Manchmal möchte ich mit dir reden. Dir erzählen. Von meinem Leben. Es war nicht das schlechteste, es war nicht das beste. Aber irgendwann hat es mich zurückgelassen, abgehängt. Einsam gemacht. An guten Tagen träume ich von einem indischen Mädchen aus Luzern, dass ich im Zug von Göschenen nach Luzern getroffen habe. Sie hat «Geblendet in Gaza» von Aldous Huxley gelesen. Ihre Augen schienen sanft und jeder Tag war noch ein Versprechen und ihr Leben und die Zukunft ein Rätsel, das sie schon noch lösen würde.

Geblieben ist die Sehnsucht nach den einfachen Dingen. Jene, die trotzdem schwer sind, sie auszusprechen. So bleibt es ein kleiner Moment, wenn du mit jemandem mit dem Pappbecher bei Starbucks sitzt, sie ansiehst und dein Herz weich und warm wird, weil du weisst du bist mit ihr zusammen, auch wenn es vielleicht nicht ewig dauern kann oder darf.

Geblieben ist die Sehnsucht nach der Berührung der Hände. Denn sie müssen sich verstehen, sonst entsteht zwar ein Geflecht aus Fingern, aber nicht mehr. Kein Kontakt, keine Berührung, sondern nur das Aufeinandertreffen von Fleisch und Knochen.

Es ist schwierig zu beschreiben, in diesem Jahr, in dem ich Angst habe und nicht mehr weiter weiss. Ein guter Fang sieht anders aus. Ein guter Fang hat seine Dinge geregelt, Kohle auf der Bank und eine Ahnung, in welche Richtung es gehen soll.

Ich würde gerne, ich kann, ich kann nur dein Haar berühren, dir vielleicht etwas lustiges ins Ohr flüstern. Sonst ist nicht mehr viel übrig. Ein paar Träume, noch nicht verschüttet vom Zweckmässigen, vom Managen des Alltags, den Ansichten von Fachpersonen und Experten. Ein paar Träume sind auch gestorben, haben sich kraftlos durch die Hintertür verabschiedet, obwohl sie schöne Träume gewesen waren.

Obwohl es dich vielleicht gar nicht gibt, obwohl es vielleicht zu spät ist, dich zu suchen, wäre es schön zu wissen, wovon du am liebsten träumst. Welche Hoffnungen du hast und wie viel noch übrig ist. Mag sein, dein Leben war nicht das beste, aber auch nicht das schlechteste. Davon könntest du erzählen. Ich weiss nicht, ob du Sara heisst oder ob es dich gibt. Weiss nicht, ob es einen Sinn hat zu suchen, zu hoffen.   

Foto: Molly Belle/Unsplash

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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